66095: Thriller (German Edition)
dass Swain das Herz wehtat. Die Schwester des Physikers hatte den Jungen nach einer kurzen unglücklichen Ehe allein erzogen. Sie war eine brillante Anwältin gewesen und an Leukämie gestorben, als Chester neun war. Swain hatte seinen Neffen zu sich genommen, weil es sonst keine Verwandten gab. Der Physiker hatte lange gebraucht, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Bis dahin hatte er sich in seinem Leben ausschließlich der Wissenschaft verschrieben, und nun wurde ihm eine solche Verantwortung aufgehalst. Aber Chester erwies sich als hoch begabtes Kind, so wie Swain selbst es gewesen war. Swain hatte die folgenden Jahre genutzt, um seinen Neffen zu immer neuen Höchstleistungen anzuspornen, so dass Chester nun mit seinen neunzehn Jahren nur noch ein Semester bis zum Abschluss seines Doppelstudiums der Physik und Computerwissenschaften hatte. Wenn es in diesem Tempo weiterginge, konnte er seinen Doktor machen, bevor er fünfundzwanzig war. Swain wusste, dass Chester ihm diesen unerbittlichen Leistungsdruck in gewisser Weise verübelte, aber er sagte sich, es sei nur zu Chesters Bestem. Wahre Wissenschaftler interessierten sich nur für eines: Unsterblichkeit durch große Leistungen und Entdeckungen. Und Chester, der so jung und brillant war und von Swain optimal gefördert wurde, brachte dafür die besten Voraussetzungen mit.
»Dieser Scheißkerl«, sagte Chester und riss Swain aus seinen Gedanken. »Es stimmt also.«
Swain warf einen Blick auf die Sensoren. Auf dem unteren Bildschirm schwamm auf kobaltblauem Hintergrund ein lang gestrecktes Unendlichkeitssymbol, während auf dem oberen Monitor unter einer mehrfarbigen Balkenanzeige eine lange Zahlenreihe vorüberzog. Dann plötzlich begann das Unendlichkeitssymbol leicht zu pulsieren. Und die glockenförmige Balkenanzeige stieg und fiel wie im Einklang mit dem Atemrhythmus eines Lebewesens.
»Unglaublich«, staunte Swain.
»Was ist unglaublich«, wollte Finnerty wissen, der hinter ihm stand.
Der Physiker drehte sich um. Der Marshall, Sanchez und Two-Elk trugen nun grau gesprenkelte Schutzanzüge. Um die Brust waren Gurte geschlungen, in denen kleine Maschinenpistolen steckten, die mit Nachtvisierung versehen waren. Auch Schleifsäcke mit der nötigen Ausrüstung hatten sie bei sich. Mrs. Burke war genauso ausgestattet, trug aber keine Waffe. Sie saß 40 Meter hangabwärts, den Kopf auf die Hände gestützt, auf einem umgestürzten Baumstamm. Captain Boulter war damit beschäftigt, eine Gruppe von Scharfschützen des FBI zu postieren, die man über Nacht eingeflogen hatte.
Nach nur drei Stunden Schlaf hatten sie sich noch in der Dunkelheit an den Aufstieg gemacht. Der Plan, den er, Finnerty und Mrs. Burke in der langen Nacht ausgeheckt hatten, sah vor, dass der Physiker, sein Neffe und Boulter mithilfe spezieller Sensoren an den verschiedenen Höhleneingängen die Position des mysteriösen Steins orten sollten. Unterdessen würde Mrs. Burke Finnerty, Sanchez und Two-Elk in den Munk-Kamm hineinführen. Sofern Gregor den Stein nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden an sich brachte, so die Überlegung, würden die Häftlinge und ihre Geiseln gezwungen sein, sich am Vorratslager tief unter dem nordöstlichen Zipfel der dritten der neun Hügelketten des Labyrinths mit Lebensmitteln, Batterien und Schlafsäcken zu versorgen. Vom Orpheus-Eingang, den Tom und Cricket benutzt hatten, ging man mindestens zweiundzwanzig Stunden bis zum Vorratslager. Aber Mrs. Burke war zuversichtlich, Finnerty und sein Team in nur sechs Stunden zu dem Lager führen zu können, wenn sie den Nautilus-Eingang nahmen. Nach dem Aufbruch im Morgengrauen würden sie das Lager rechtzeitig erreichen, um den Hinterhalt vorzubereiten.
Aber Swains Hauptsorge galt im Augenblick dem Stein. Er sah Finnerty an und deutete auf den Sensor, den sein Neffe in der Hand hielt.
»Es handelt sich um ebenjene elektromagnetische Besonderheit, die der Stein Gregors Angaben zufolge aufweist«, sagte er. »Eine erstaunlich hohe Energieabgabe. Schwache Photonenwelle. Unglaublicher Neutronenaustausch, ganz zu schweigen vom Quark-Zerfall. Zweifellos befindet sich der Stein in der Höhle.
Ganz gleich, was wir tun«, fuhr Swain fort, »versuchen Sie nicht, den Stein zu deaktivieren, wenn Sie darauf stoßen. Aus Gregors Aufzeichnungen geht hervor, dass es zu einer Destabilisierung kommen könnte, wenn er zu abrupt von seiner Energiequelle abgeschnitten wird.«
»Das ist ja großartig«, meinte Sanchez.
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