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68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron

68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron

Titel: 68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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berührt hatte, etwas energischer als gewöhnlich drücken, denn es ließ sich ein leises Knacken hören.
    In dem Gedanken, das Medaillon beschädigt zu haben, zog sie es schnell wieder hervor, und siehe da, es hatte sich auf der hinteren Seite geöffnet, da, wo Milda niemals eine Möglichkeit der Öffnung vermutet hatte.
    Ganz überrascht hielt sie diese Seite dem Licht näher. Steckte auch hier etwas darin? Vielleicht ein zweites Bild? Nein. Sie erblickte kleine, kaum erkennbare Schriftzüge. Es lag ein kleiner, zusammengefalteter Zettel darin, aus dem allerdünnsten und feinsten Papier bestehend. Trotz der Kleinheit des Raumes, welchen er in der einen Medaillonhälfte eingenommen hatte, besaß er doch, als Milda ihn auseinandergefaltet hatte, die Größe des sechzehnten Teiles eines Schreibbogens.
    Die Schrift war wegen ihrer außerordentlichen Enge und Kleinheit für das bloße Auge kaum zu lesen. Doch besaß Milda ein niedliches Mikroskop. Sie war eine große Blumenliebhaberin und hatte sich dieses Vergrößerungsglas angeschafft, um selbst die kleinste Blüte in allen ihren Teilen untersuchen zu können.
    Wem gelten diese Zeilen? fragte sie sich. Mir oder einem anderen? Im letzteren Fall habe ich nicht das Recht, sie zu lesen. Aber Mama hat das Medaillon für mich bestimmt, also darf ich wohl ohne Bedenken die Schrift untersuchen.
    Sie nahm das Mikroskop hervor und setzte es von Wort zu Wort auf das Papier. Auf diese Weise gelang es ihr, folgendes zu lesen:
    „Meine süße Milda, mein herziges Töchterchen! Mit vieler Mühe habe ich diese Zeilen für Dich fixiert. Wenn Du sie liest, werde ich wohl längst nicht mehr auf dieser Erde weilen. Es ist ein Vermächtnis, welches ich Dir hinterlasse. Ich habe viel gelitten, wohl unverschuldet; eine einzige Schuld nur habe ich auf dem Herzen liegen, und ich wage es, sie mit hinüber in das Jenseits zu nehmen, in der sicheren Erwartung, daß Du sie an meiner Stelle tilgen werdest. Ich muß Dir das Herzeleid antun, Dir zu sagen, daß Dein Vater kein Ehrenmann ist. Du wirst vielleicht, wenn Du diese Zeilen liest, genug Seelenfestigkeit besitzen, von dieser Mitteilung nicht niedergeschmettert zu werden. Er hat gesündigt, und ich war so schwach, um Deinetwillen und aus Furcht vor ihm darüber zu schweigen. Sobald Du mündig bist, aber nicht eher, sollst Du mein Bekenntnis lesen, denn vorher kannst Du ja keine Disposition über Dein Vermögen treffen. Es gilt, unrechtes Geld zurückzuerstatten. Vielleicht lebt dann Emilie von Sendingen noch, die oder deren Kinder ich vergeblich gesucht habe – heimlich, da Dein Vater nichts davon wissen darf. Gehe am Tage Deiner Mündigerklärung in die kleine Bibliothek, welche ich Dir hinterlasse, und nimm das –“
    Von diesem Worte an hatten die Zeilen aus irgendeinem Grund ihre Deutlichkeit verloren. Die Zügen waren vergilbt und selbst durch das Mikroskop nicht mehr mit Deutlichkeit zu erkennen. Stundenlang noch saß Milda, aber nicht ein einziges Wort mehr brachte sie heraus. Ihre Mutter hatte sich von dieser Stelle an vielleicht einer anderen Tinte bedient, welche nicht die Güte der vorherigen besaß.
    Endlich, nach langer, vergeblicher Anstrengung, ließ sie von dem fruchtlosen Versuch ab. Sie legte Papier und Mikroskop fort, stand vom Stuhl auf und schritt erregt in dem Zimmer hin und her.
    „Meine Ahnung!“ flüsterte sie. „Sie ist nicht glücklich gewesen. Sie ist gestorben, mit einer Schuld auf dem Gewissen – um meinetwillen! O Gott, die Arme, Arme! Und welche Schuld ist es? Sie spricht von der Zurückerstattung unrechten Gutes – an diese Emilie von Sendingen! Ist diese letztere beraubt worden? Und von wem? Vom Vater?“
    Dieser Gedanke quälte sie entsetzlich. Ruhelos wanderte sie auf und ab.
    „Und erst wenn ich mündig bin, soll ich es erfahren! So lange Zeit soll ich auch mitschuldig sein? Unmöglich! Was soll ich in der Bibliothek? Noch sind alle Bücher, welche Mama hinterlassen hat, vorhanden. Nein, nein, so lange Zeit warte ich nicht!“
    Sie machte eine höchst energische Handbewegung.
    „Fremdes Gut soll ich besitzen? Eine Diebin soll ich sein? Nein, nein, nein! Aber ich kann doch nicht weiter lesen! Ich weiß ja nicht, was ich machen soll! Freilich glaube ich, gehört zu haben, daß es chemische Mittel gibt, alte Schriftzüge lesbar zu machen. Das muß ich tun, das muß ich versuchen, und zwar sehr bald! Aber an wen wende ich mich da? Wem darf ich mich mitteilen, wem kann ich in dieser so diskreten

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