68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
bin – soll ich auch hier aufrichtig sein?“
„Ich bitte darum.“
„Ich bin – eine arme, alte Näherin.“
„Ich werde mir doch gestatten, dies zu bezweifeln.“
„Warum wollen Sie es nicht glauben?“
„Weil Ihre Ausdrucksweise eine solche ist, wie man sie nur in gebildeten Kreisen gewöhnt ist.“
Die sonst so ernste, bedächtige und zurückhaltende Milda war in diesem Augenblick in einer Stimmung, wie sie eine solche noch niemals an sich beobachtet hatte. So neckisch und zum Scherz aufgelegt wie jetzt, hatte sie sich noch nie gefühlt. Die Situation, in welcher sie sich befand, war eine ganz außergewöhnliche; es war eigentlich ein Wagnis, einem so fremden Mann, in dessen Armen sie eigentlich lag, einen so leichten Ton hören zu lassen. Aber es lag in seinem Auftreten etwas so Vertrauenerweckendes, daß sie nicht die mindeste Sorge fühlte, er werde diese Situation ausnützen. Sie verfolgte den Scherz weiter, indem sie ihm antwortete:
„Wenn ich mich nicht so ausdrücke wie die Tochter eines gewöhnlichen Arbeiters, so ist eben daran nur der Umstand schuld, daß ich eine Näherin bin.“
„Das begreife ich nicht.“
„Und doch ist es so leicht zu begreifen. Wir Näherinnen kommen ja mit gebildeten Damen und feinen Familien sehr oft in Berührung, und da ist es gar kein Wunder, wenn irgendein Ausdruck, irgendeine Redensart oder so etwas Ähnliches, gemerkt und dann später in Anwendung gebracht wird. Wir verfeinern uns, ohne daß wir es selbst merken.“
Sie lachte dabei so goldig hell auf, daß er in dieses wohlklingende Lachen einstimmen mußte. Doch meinte er:
„Ihre Art und Weise verrät aber gar nichts Angelerntes. Es ist ganz so und klingt auch ganz so, als ob es Ihnen so angeboren oder wenigstens anerzogen sei.“
„Meinen Sie? Nun, das beweist doch nur, daß ich sehr gut aufgepaßt habe, also daß ich eine ganz leidliche Nachahmerin bin. Aber nun seien Sie auch noch einmal aufrichtig, und sagen Sie mir, wie ich Sie zu nennen habe!“
„Meinen Namen soll ich Ihnen nennen? Warum? Wollen wir ihn nicht lieber in Geheimnis gehüllt bleiben lassen?“
„Nein, dafür bin ich nicht. Es ist ein so beengendes Gefühl, mit jemandem zu sprechen, ohne seinen Namen zu kennen.“
„Mich kann das nicht beengen.“
„So tragen Sie also kein Verlangen, den meinigen zu erfahren?“
„Nein.“
„Aber Sie müssen mich doch nennen! Es muß doch irgendein Wort vorhanden sein, mit welchem Sie mich bezeichnen können!“
„Das ist ja auch da. Ich nenne Sie sehr einfach ‚mein Fräulein‘ oder auch, wenn Sie es mir erlauben, ‚liebes Tantchen‘. Sie haben ja gesagt, daß Sie Tante sind.“
„Aber Sie wissen doch wohl, daß keine Dame sich gern Tante nennen läßt, bevor sie wenigstens ihr fünfzigstes Jahr erreicht hat.“
„So nenne ich Sie also Fräulein.“
„Und ich Sie ‚mein Herr‘? Das ist so unbequem. Sagen Sir mir also doch lieber Ihren Namen!“
„Eigentlich sollte ich es wohl tun; aber Sie kennen doch wohl die Strophen:
Heilig achten wir die Geister,
Aber Namen sind uns Dunst;
Würdig ehren wir die Meister,
Aber frei ist unsre Kunst.
Lassen Sie also den Namen verschwiegen bleiben!“
„Daraus schließe ich, daß Sie ein Künstler sind.“
„Ich will erst einer werden.“
„Hm! Darum haben Sie noch keinen Namen und können mir ihn also nicht sagen!“
„So ist es leider.“
„Nun, so will ich von meiner Bitte abstehen; aber Sie werden nun auch auf keinen Fall erfahren, wie ich mich nenne.“
„Ich wünsche gar nicht, es zu erfahren. Unsere Begegnung hat einen so romantischen Anstrich, daß ich meine, je mehr wir uns gegenseitig in das Geheimnis hüllen, desto hübscher wird die Erinnerung an dieses Zusammentreffen sein.“
„Jetzt werden Sie gar poetisch. Sind Sie etwa Dichter?“
„Nein.“
„Maler?“
„Auch nicht. Der Pinsel ist nicht meine Waffe.“
„Und dennoch Künstler! Also vielleicht Schauspieler oder Sänger?“
„Keins von beiden.“
„Was für Künstler gibt es doch noch? Reit-, Fecht- oder Turnkünstler?“
„Das ist Kunst niederen Ranges.“
„Hm! Baukunst! Sind Sie Architekt?“
„Ich will es werden.“
„So habe ich es endlich getroffen. Aber wenn Sie es erst werden wollen, so sind Sie noch jung, vielleicht gar noch Schüler. Seien Sie aufrichtig!“
„Gibt es nicht auch alte Schüler?“
„Gar wohl; der Mensch bleibt ja immer Schüler, da er bis an das Ende seiner Tage zu lernen hat, und – Himmel!“
Sie
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