68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
nebeneinander, still und reglos wie Statuen. Das war fast noch schlimmer und unbequemer als vorhin. Er hörte wiederholt einen leisen Seufzer, den sie nicht zu unterdrücken vermochte.
„Sie fühlen sich noch immer unbequem, nicht wahr?“ fragt er.
„Wir haben uns in nichts gebessert.“
„Daran sind wir selbst nur schuld. Wir haben die zwei Arme entfernt, wagen aber nicht, einander näherzurücken. Haben Sie einen Bruder, mein Fräulein?“
„Nein – doch ja!“
Diese Antwort befremdete ihn zwar; aber er machte keine Bemerkung darüber. Sie war bisher nicht gewöhnt gewesen, auf diese Frage mit ja zu antworten, denn sie hatte ja erst gestern einen Bruder gefunden. Die junge Dame war nämlich keine andere als – Milda von Alberg.
„Nun, wenn Sie einen Bruder haben, so wissen Sie auch, daß die Schwester sich nicht vor ihm zu scheuen braucht. Denken Sie einmal, Ihr Bruder säße an meiner Stelle hier neben Ihnen. Würden Sie sich dann so separat und abweisend verhalten?“
„Vielleicht nicht“, gestand sie.
„Nun, Sie haben befohlen, daß ich neben Ihnen sitzen soll. Sie müssen also auch die Konsequenzen dieses Befehles mit Fassung tragen. Bitte!“
Sie rückte ihm wirklich ein wenig näher.
„So! Lehnen Sie sich getrost fest an mich, und legen Sie Ihren Kopf auf meine Achsel, so wie Sie es bei einem Bruder ohne alle Scheu tun würden. Bitte, bitte!“
„Aber wenn – wenn – wenn –“, stockte sie.
„Ich möchte kein Wenn und Aber hören.“
„Wenn – wenn Sie es mir nun übelnehmen?“ warf sie in scherzendem Ton ein.
„Sie erkennen wohl selbst, daß es eine Unmöglichkeit ist. Wir sehen uns heut zum ersten Mal, oder vielmehr, wir haben uns noch gar nicht einmal gesehen, da das in dieser Gewitternacht beinahe unmöglich ist. Vielleicht werden wir uns auch nie wiedersehen. Also ist gar kein Grund vorhanden, wegen irgendeines unmotivierbaren Bedenkens die Unbequemlichkeit noch länger zu ertragen.“
„Ich mag Ihnen nicht widerstreiten und will Ihnen mein Vertrauen schenken. Ist es so recht?“
Sie rückte jetzt ganz eng an ihn heran und lehnte auch das Köpfchen an seine Achsel.
„Ja, so ist's recht. Fräulein. Ich danke Ihnen.“
Sie saßen jetzt so eng wie möglich aneinander – zwei einander vollständig fremde Personen, sich mit den Armen umschlungen haltend. Das Gewitter hatte den festen Stamm der Buche zerrissen, hier aber zwei widerstrebende Menschenkinder vereinigt.
Es donnerte, blitzte und regnete noch immer ohne Unterlaß. War es draußen unter den Bäumen und zwischen den Felsen dunkel, so war es hier in der kleinen Höhle noch viel finsterer. Sie konnten sich wirklich nicht sehen, und wenn ja einmal ein vorüberzuckender Blitz sein grelles Licht hereinwarf, so war das nur für einen kurzen Augenblick, daß es nicht hinreichte. Überdies wäre es ja unhöflich gewesen, dem sich ihm anvertrauten Mädchen in einem solchen Augenblick in das Gesicht zu sehen.
Und doch! Obgleich er noch keinen ihrer Züge kannte, hatte er doch die Überzeugung, daß sie schön sei. Ja, er begann bereits, als sie jetzt so still und wortlos nebeneinandersaßen, sich ihr Bild in Gedanken auszumalen.
Da ihre Körper sich berührten, fühlten sie bald die Wärme derselben. Es war Rudolf, als ob ein heilkräftiger Strom von ihr zu ihm überflute. Er hatte ein Gefühl, wie er es in seinem ganzen Leben noch nie empfunden hatte. Es gab kein Wort, dasselbe zu bezeichnen, und keine Sprache, es zu beschreiben.
So hatten sie fast eine Stunde gesessen, sie an ihn gelehnt und er sich ohne Bewegung haltend, um ja nicht ihr Vertrauen zu verscherzen. Endlich wurde ihr das Schweigen zur Qual. Sie fragte:
„Nicht wahr, ich falle Ihnen schwer?“
„Nein, o nein. Ich wollte, ich hätte endlos solche Last zu tragen.“
Das hatte er nicht sagen wollen. Die Worte waren ihm ohne Kontrolle entschlüpft. Sie schwieg, und er nahm dies als ein Zeichen ihrer Mißbilligung.
„Zürnen Sie mir?“ fragte er.
„Wie könnte ich!“
„Es wär leicht möglich, meine Worte falsch zu deuten.“
„Ja. Leider meinen die Herren, bei jeder, aber auch jeder Gelegenheit galant gegen uns sein zu müssen.“
„Es war keine Galanterie. Ich sprach es aus der Seele.“
„So halten Sie mich für eine Last, welche – welche man nicht fortzuwerfen braucht?“
„Für eine Last, welche man ewig tragen möchte.“
„Ohne mich zu kennen! Ohne mich gesehen zu haben?“
„Ja.“
„Das ist
Weitere Kostenlose Bücher