68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
kühn!“
„Vielleicht nicht. Ich habe nur die Umrisse Ihrer Gestalt gesehen; aber es ist mir, als ob ich Ihr Gesicht mit aller Genauigkeit zeichnen könne.“
„Das ist freilich unmöglich.“
„Es gibt Philosophen, welche sagen, daß die Seele nicht immer der körperlichen Augen bedürfe, um etwas zu erkennen.“
„Leider bin ich kein Philosoph“, sagte sie heiter.
„Es soll sogar erwiesen sein, daß Seelen sich suchen und finden, bevor die Körper etwas davon wissen.“
„Das ist Metaphysik, von der ich auch nichts verstehe. Ich möchte aber wirklich wissen, welch ein Bild Sie sich von mir machen. Wollen Sie es mir einmal beschreiben?“
„Der Seltsamkeit wegen, ja.“
„Nun, Länge und Gestalt lassen wir unerörtert, da Sie beides ja fühlen –“
„Oh, nicht so genau. Ich halte Sie, aber ich fühle Sie kaum. Was ich fühle, das ist so ätherisch leicht, daß ich befürchte, es verschwindet mir im Augenblick.“
„O bitte, hoffen Sie das nicht. Ich bin leider gezwungen, Ihre Geduld noch lange in Anspruch zu nehmen. Aber nun bitte, sagen Sie mir, welche Farbe mein Haar hat!“
„Sehr dunkelbraun, fast schwarz.“
„Das stimmt. Die Augen?“
„Groß, schwarz, mit langen, aber nicht gar zu dichten Wimpern. Die Brauen sind fast ein bißchen zu hoch gewölbt.“
„Wie genau! Sie haben mich gesehen!“
„Nein, wirklich nicht!“
„Die Nase?“
„Klein, nicht grad, aber auch nur mit einer ganz geringen, kaum bemerkbaren Biegung.“
„Auch das ist wahr. Der Mund?“
„Gewölbt, mit etwas vorstrebender Mitte. Die untere Lippe ist voller als die obere.“
„Sie erschrecken mich wirklich. Sie sind doch der wirkliche Geisterseher. Sie beschreiben mich ganz genau. Ich mag nichts mehr hören. Höchstens möchte ich Sie fragen, welchem Stand ich wohl angehöre.“
„Diese Antwort ist ungeheuer schwer zu geben. Meine Beschreibung war das Ergebnis eines gewissen instinktartigen Ahnungsvermögens. Um Ihnen aber zu sagen, welches Standes Sie sind, dazu gehört mehr. Da muß man Menschenkenner sein. Ich bin das nicht. In meinem Alter kann man es noch nicht sein. Aber fast bin ich versucht, Sie für die älteste Tochter eines höheren Forstbeamten zu halten.“
„Wie kommen Sie auf diesen Gedanken? Besonders zu der Ansicht, daß ich eine älteste Tochter sei?“
„Zunächst haben Sie mir so viel Energie und festen Willen gezeigt, wie man ihn eben nur bei ältesten Töchtern findet, welche die Herrschaft über die jüngeren führen. Und sodann haben Sie so – hm, was denn nur? Ich finde den richtigen Ausdruck nicht. Ihre Stimme hat bei aller Energie einen so zarten, sanften, weichen Klang, daß ich Sie mir gar nicht ohne irgendwelche Wesen denken kann, denen Sie täglich recht viel Liebes und Gutes erweisen – also wohl, Geschwister.“
„Hm! Die älteste Tochter! Welches Alter geben Sie mir da?“
„Immer höchstens achtzehn.“
„So! Und warum soll ich eine Förstertochter sein?“
„Weil ich Sie mitten im Wald traf, allein, ohne alle Begleitung.“
„So haben Sie sich freilich in nichts weniger als in allem geirrt.“
„Wirklich?“
„Ja. Ich bin blond. Man sagt sogar, daß mein Haar einen etwas rötlichen Schein besitze. Meine Nase ist ein spitzer Kiekindiwelt, und die Augen sind blaugrau. Alt bin ich – hm, soll ich Ihnen wirklich die Wahrheit sagen?“
„Wenn es Ihnen keine Schmerzen macht, ja.“
„Zweiunddreißig.“
„Sollte man es denken!“
„Ja. Geschwister, nämlich jüngere, habe ich nicht, aber wohl ältere, welche verheiratet sind, so daß ich sogar Tante bin. Gefällt Ihnen das?“
„Es kann nichts nützen, wenn ich es mir verbitte.“
„Da haben Sie recht, denn ich würde trotz Ihres Einspruchs doch eine alte Tante bleiben. Und da ich einmal so sehr aufrichtig war, Ihnen dieses alles zu sagen, so kann ich Ihnen schließlich auch gestehen, daß ich nicht die Tochter eines Forstbeamten bin.“
„Ich hätte aber darauf wetten wollen, daß ich richtig geraten habe.“
„Leider ist das nicht der Fall. Ich habe weder Vater noch Mutter mehr und bin ein ganz, ganz armes – Kind, hätte ich beinahe gesagt, muß aber der Wahrheit gemäß gestehen, eine ganz, ganz blutarme Tante.“
„Sie scherzen. Ob Sie wohlhabend oder gar reich sind, darüber habe ich freilich nicht nachgedacht; aber daß Sie die Tochter eines wohlsituierten Hauses sein würden, das war mir über alle Gewißheit erhaben.“
„Da haben Sie sich eben getäuscht. Ich
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