68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
fuhr erschrocken zusammen und schmiegte sich ganz unwillkürlich fester an ihn. Es hatte einen entsetzlichen Donnerschlag getan, und der Blitz, welcher am Eingang der kleinen Höhle vorübergezuckt war, hatte einem großen Feuerball geglichen. Der Fremde hatte, als sie sich enger an ihn legte, seinen Arm fester um sie geschlungen, auch ohne Absicht, nur in dem unbewußten Gefühl, daß sie Schutz bei ihm suche.
So saßen sie eine ganze Weile still und eng aneinandergeschmiegt. Wie es bei solchen Donnerschlägen häufig vorzukommen pflegt, schien das Gewitter mit dem letzten Blitz seine Macht erschöpft zu haben. Es regnete nicht mehr; nur einzelne Tropfen fielen noch, und der Himmel heiterte sich schnell auf. Es wurde licht, so daß die Gesichtszüge der beiden recht gut zu erkennen waren.
Daran aber dachten sie nicht. Sie blickten sich jetzt gar nicht an. Beide waren in Gedanken tief versunken.
Er fühlte sich ganz eigenartig erregt. Eine ‚arme, alte Tante‘ an seiner Seite! O weh! Und doch war es ihm, als ob er darüber recht sehr glücklich sein könne. Es ging von ihr ein seelisches Fluidum aus, dessen Wirkung er sich nicht entziehen konnte. Er mußte es auf sich einwirken lassen und hatte eine Empfindung, als ob es für ihn nichts Besseres zu wünschen gebe, als daß er stets, stets an der Seite dieser ‚alten Tante‘ verweilen dürfe.
Und sie, diese Tante – sie fühlte keineswegs die bedächtigen Regungen so einer bejahrten Muhme. Es ging eine wohltuende, beglückende Wärme durch ihr Herz, fast ähnlich so, wie als sie ihrem Bruder erlaubt hatte, sie zum ersten Mal zu küssen. Sie hätte ihr Köpfchen immer und immer an der Schulter dieses Mannes liegen lassen und immer, immer so wie jetzt seinen Arm um sich fühlen mögen – seinen Arm um sich fühlen! Das brachte sie zum Bewußtsein ihrer augenblicklichen Lage. Sie schrak auf. Er fühlte das und zuckte auch zusammen. Sich aus seinem Sinnen aufraffend, lockerte er den Arm, mit welchem er sie umschlungen hielt, und sie nahm ihren Kopf von seiner Achsel weg. Dabei trafen sich ihre Blicke.
„Ach!“ sagte er. „Was Sie für eine alte, uralte Tante sind!“
„Nicht wahr!“ antwortete sie unter einem halblauten Lachen, was ziemlich verlegen klang.
„Und blond sind Sie auch!“
„Nicht ganz!“
„Freilich. Sie sagten ja, daß Ihr Haar einen rötlichen Schein besitze. Das ist also nicht ganz blond. Ich erschrecke übrigens auf das heftigste.“
„Warum? Sie machen mir Angst. Was ist denn passiert?“
„Der Blitz muß meine Augen geblendet haben.“
„Herrgott! Ist's möglich?“ fragte sie, jetzt wirklich erschrocken.
„Ja, denn ich sehe Sie als eine sehr dunkle Brünette, während Sie doch eine Blondine mit rotem Haar sind.“
„Ach so!“ meinte sie erleichtert. „Nun, ich gestehe, daß ich gescherzt habe.“
„Auch in Beziehung auf die Tante?“
„Ja.“
„Und in Beziehung auf die Arbeiterfamilie, aus welcher Sie stammen?“
„Da wohl kaum.“
„O doch. Bitte, geben Sie mir doch einmal Ihr kleines Händchen da! Sie tragen hier einen Ring mit einem Diamanten, welchen ich auf wenigstens tausend Mark schätzen muß. Die Arbeiterfamilie muß also eine sehr wohlhabende sein.“
„Deswegen nicht. Ich habe meine Ersparnisse in diesem Ring angelegt.“
„Auf eine so unproduktive Weise, welche keine Zinsen bringt? Das tut eine arme Näherin niemals. Nein, nein, Sie haben mich in jeder Beziehung getäuscht. Sie sind etwas ganz anderes, als wofür Sie sich ausgegeben haben. Sie sind –“
Er hielt inne und sah ihr mit so leuchtendem Blick in die Augen, daß sie ihre langen, weichen Wimpern senkte.
„Nun?“ fragte er leise.
„Sie sind gar keine Tante, gar kein Mädchen, gar keine Dame –“
„Etwas muß ich aber doch wohl sein.“
„Natürlich. Sie sind gar kein menschliches, gar kein irdisches Wesen, sondern eine Fee, welche aus der Höhe herniedergestiegen ist.“
„Oh“, lachte sie fröhlich auf, „das ist ja recht sehr interessant für mich!“
„Für mich noch viel mehr.“
„Das bezweifle ich.“
„Und doch ist es wahr. Haben Sie bereits einmal von so einer Fee gelesen?“
„Nein.“
„Ach! Wirklich nicht? Sie scherzen!“
„Ich sage die Wahrheit. Wir Feen können ja gar nicht lesen. Bei wem sollten wir es gelernt haben?“
„Ach so! Ganz richtig! Nun, wenn Sie es noch nicht gelesen und gehört haben, so muß ich es Ihnen sagen, daß eine Fee stets nur in der Absicht, einen Sterblichen
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