7 Minuten Zu Spät
ein Haus zu finden.«
»Genau.«
»Und endlich hier rauszukommen.«
»Genau«, wiederholte sie.
»Die Polizei findet Lauren schon«, fuhr er fort. »Das ist ihr Job.« Er stand auf und begann, wieder in seinem Risotto zu rühren.
Nach einer Weile fragte Alice: »Glaubst du, jemand kann zu nett sein?«
»Meinst du Tim?«
»Nein, ich habe an Frannie gedacht. War es falsch von mir, heute früh zu ihr zu gehen?«
»Nein, definitiv nicht. Es ist immer besser, aufrichtig zu sein.«
»Frannie hat gesagt, dass ja nicht ich gelogen habe.«
Mike lächelte. »Das war wirklich nett von ihr.«
»Ich hatte dadurch weniger Schuldgefühle, schließlich hatte Maggie es gesagt. Sie hat gelogen.«
»Aber wenn man etwas nicht richtig stellt, ist es vermutlich genauso schlimm«, entgegnete Mike.
»Na ja, auf jeden Fall findet Maggie Frannie zu nett.«
»Das sieht Maggie ähnlich.« Mike hielt im Rühren inne und drehte sich zu ihr um. »Wenn jemand wirklich nett ist, bleibt ihr nicht genug Raum, um sich mit ihm anzulegen.«
Alice vermutete, dass Mike Maggie zwar grundsätzlich mochte, ihr aber nicht mehr ganz traute, seitdem sie Simon wegen seiner angeblichen Untreue verlassen hatte.
»Und warum mag sie mich? Ich bin doch auch nett.«
Mikes Augen begannen zu funkeln. »Na ja, so nett bist du nun auch wieder nicht, Liebling.«
»Arschloch.«
»Siehst du?«
Den ganzen restlichen Abend dachte Alice darüber nach, was nett eigentlich bedeutete. Sie fragte sich, ob Ehrlichkeit ein Wert an sich war. Sie jedenfalls litt unter Unehrlichkeit. Lügen konnte sie nur schwer ertragen. Sie hatte der Polizei einfach von Maggies gut gemeinter Lüge erzählen müssen. Auch wenn ihre Freundschaft vielleicht darunter leiden würde…
Als Alice am Montagmorgen die Tür zum Blue Shoes öffnete, war die Türglocke wegen der Musik kaum zu hören. Sie hatte einen ruhigen Morgen erwartet, allein im Laden, sodass sie sich in Ruhe überlegen konnte, wie sie Maggie ihren gestrigen Besuch im Polizeirevier gestehen konnte. Sie hatte ihr gemeinsames Geheimnis preisgegeben, und wenn Lauren zurückkäme, wäre Maggie diejenige, die aufrecht und wahrhaftig geblieben war, während Alice gewankt hatte.
»Was machst du hier?«, rief sie Maggie zu, die im Hinterzimmer saß und Belege ordnete.
Als Maggie aufblickte, sah Alice, dass ihre Augen gerötet waren. Also hatte auch sie nicht gut geschlafen. Alice war in der letzten Nacht irgendwann aufgestanden, um weiter an Laurens Website zu arbeiten, und jetzt war ihr leicht schwindlig und übel vor Müdigkeit.
Maggie schaltete das Radio aus. »Heute Mittag um zwölf müssen wir zu Martin wegen unserer vierteljährlichen Steuervorauszahlung. Hast du das auch vergessen?«
»Mist!« Alice hatte tatsächlich nicht mehr daran gedacht.
»Können wir das nicht verschieben?«
»Wir haben den Termin bereits zweimal verschoben. Ich glaube, letztes Mal war er ziemlich ärgerlich deswegen, und ich möchte ihn nicht verlieren. Er ist ein guter Steuerberater.«
»Aber…«
»Schscht, Liebes. Wir müssen nach vorne schauen.«
Vielleicht hatte Maggie ja Recht. Lauren war jetzt seit drei Tagen weg, drei endlose Tage und Nächte voller Warten und Hoffen. Aber die Hoffnung schien zu schwinden, je mehr Zeit verstrich. Sie mussten weitermachen und sich an ihrer täglichen Routine festhalten.
»Du willst doch sicher nicht, dass ich alleine zu Martin gehe?«, fragte Maggie. Das war ein lächerlicher Vorschlag, wenn man bedachte, wie schlecht Maggie mit Zahlen umgehen konnte.
»Nein, ganz bestimmt nicht«, erwiderte Alice. »Ich nehme den Termin schon selber wahr.« Sie zog den Schuhkarton mit den Belegen zu sich heran. »Wir teilen uns die Arbeit und ordnen das alles, bevor ich zu ihm gehe.«
Nebeneinander saßen sie an der Theke und arbeiteten sich durch die Belege. Ab und zu warf Alice Maggie einen Blick zu und dachte: Jetzt, jetzt sage ich es ihr. Aber immer gerade dann rieb sich Maggie müde die Augen oder seufzte oder gab sonst einen Hinweis darauf, dass es ihr heute nicht so besonders gut ging, und Alice schwieg.
Eine Dreiviertelstunde später hatten sie ihre Aufgabe erledigt, da noch kein Kunde den Laden betreten und sie gestört hatte. Auf einmal knurrte Alices Magen so laut, dass selbst Maggie es hörte.
»Du hast Hunger, oder?«
»Ja, ich komme um vor Hunger, das merke ich erst jetzt.«
»Ich könnte einen Cappuccino vertragen. Soll ich rasch gehen und uns etwas holen?«
Maggie griff nach ihrer Handtasche
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