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7 Minuten Zu Spät

7 Minuten Zu Spät

Titel: 7 Minuten Zu Spät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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kommen die Möbelpacker. Das ganze Zeug hier wird eingelagert. Ich muss jetzt weiterpacken, sonst…« Er beendete den Satz nicht, aber Alice wusste sowieso, was er sagen wollte. Sonst drehe ich durch.
    »Geh nicht, ohne dich zu verabschieden, Tim. Bitte!«
    Er blickte sie aus seinen moosgrünen Augen an, legte seine Zigarette ab und trat zu ihr, um sie in die Arme zu nehmen. So nahe war der Geruch nach Rauch stechend.
    »Natürlich sagen wir auf Wiedersehen.«
    »Ich werde dich und Austin so sehr vermissen«, flüsterte sie und vergrub ihr Gesicht ein letztes Mal in der Halsbeuge von Laurens Mann.
    Auf dem Weg durchs Wohnzimmer blieb sie bei Austin stehen, der eine winzige Cowboy-Figur mit braunen Plastikkühen umringt hatte. Sie beugte sich zu ihm, um ihn auf seine weiche Wange zu küssen.
    »Du riechst nach Zimt.« Wieder küsste sie ihn und flüsterte:
    »Ich liebe dich.« Austin erstarrte, als sie mit ihren Fingern sanft über sein Gesicht fuhr, um sich jede Linie einzuprägen.
    Dann ging sie, ohne sich noch einmal umzublicken. Den ganzen Weg zum Blue Shoes ging sie zu Fuß. Auch wenn es schon spät war, sie würde den Laden aufmachen, dort sitzen, Kunden bedienen. Heute würde ihr alles schwer fallen, deshalb konnte sie genauso gut im Laden sein. Sie fühlte sich hilflos. In weniger als zwei Wochen hatte sich ein Drittel ihres Lebens – die Familie Barnet – in nichts aufgelöst, wie ein Stern, der einfach erloschen war.
    Sie blieb vor einem Deli stehen, in dessen Schaufenster zahllose Zeitschriften lagen. Auf dem Bürgersteig stand ein Gestell mit Tageszeitungen. Lauren war eine kleine Meldung geworden, ein kleiner Kasten in der Ecke. Polizei sucht nach Muttermörder, noch keine Spur. Ungeborenes Baby immer noch vermisst. Der Mörder der jungen Frau immer noch auf freiem Fuß in Brooklyn. Morgen würde Lauren wahrscheinlich nicht einmal mehr auf der Titelseite erwähnt sein.
    Alice ergriff die New York Times und schlug den Lokalteil auf. Zum ersten Mal seit Tagen hatte die Journalistin, die Laurens Fall verfolgt hatte, keine Meldung auf der ersten Seite. Alice versuchte sich an den Namen der Reporterin zu erinnern. Ach ja, Erin Brinkley.
    Ob sie sie wohl anrufen sollte? Ob sie ihr verraten Ute, dass das Baby ein Mädchen war und Ivy hieß?
    Aber dann dachte sie an Frannie und Giometti. Ivys Geschlecht wurde ja nicht ohne Grund geheim gehalten; die Ermittler wussten sicher, was sie taten. Entschlossen verdrängte Alice den Gedanken. Sie würde sich um das kümmern, was sie etwas anging: ihre Familie, die Suche nach einem neuen Zuhause und ihr Geschäft.
    Nach drei Stunden im Blue Shoes dachte Alice immer noch pausenlos an Tim und Austin. Um zwei war Maggie gekommen, und sie hatten Tims Entscheidung, wegzugehen, pausenlos analysiert und darüber diskutiert, wie sie es am besten den Kindern beibringen sollten, dass Austin jetzt für eine Weile weg war.
    »Es wird ihnen das Herz brechen«, sagte Maggie. »Für sie wird es sein wie ein weiterer Tod.«
    »Mags, das siehst du zu extrem. Er kommt ja zurück.«
    »Ich glaube, Tim geht für immer. Er hat vermutlich die Nase voll.«
    »Hoffentlich irrst du dich«, sagte Alice.
    »Ich weiß nur, dass ich es an seiner Stelle täte. Mir wäre hier alles viel zu schmerzlich.«
    Möglicherweise hatte Maggie Recht. Je mehr Alice darüber nachdachte, umso mehr fragte sie sich, warum sie und Mike eigentlich hier in der Gegend blieben. Warum nutzten sie die Vertreibung durch Julius Pollack eigentlich nicht dazu, in eine ganz andere Stadt zu ziehen? In einen anderen Bundesstaat? Warum sollten sie unbedingt hier bleiben, dachte sie, als sie zur Schule fuhr, um Nell und Peter abzuholen. Sie konnten doch in den Süden ziehen wo es immer warm war, oder in den Norden, wo sie im Winter Ski laufen konnten und die Sommer nicht so heiß waren. Oder sogar ins Ausland, wo ihre Kinder mehrsprachig aufwachsen konnten, weit weg von der krassen Kommerzialisierung der amerikanischen Kultur. Warum wollten sie überhaupt hier bleiben?
    Weil, dachte Alice, als sie vor der Schule hielt, wir hier zu Hause sind. Weil wir hier leben. Von Anfang an hatte Alice sich in dieser Gegend zu Hause gefühlt. Außerdem wusste sie, seit ihre Mutter vor der Erinnerung an ihren Vater bis nach Kalifornien geflohen war, dass sie den Verlust von Lauren und Ivy doch nie vergessen würde. Er würde sie überallhin verfolgen. Und als die Kinder aus der Schule kamen, dachte Alice schon nicht mehr daran, aus Brooklyn

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