7 Minuten Zu Spät
nur ein Drittel des Marktwertes, und anscheinend wollte Julius Pollack die Wohnung gar nicht für sich selbst, sondern um sein Einkommen aufzubessern. Ganz klar, das war doch immer der Grund. Sie waren ihm völlig egal, ihm ging es nur um Geld.
Das nächste Haus war besser als das erste, aber trotzdem ziemlich deprimierend. Niedergeschlagen trottete sie neben Pam her, die ihr aufmunternd versicherte: »Es ist ein ständiges Auf und Ab. Das nächste Haus ist viel besser, das verspreche ich Ihnen. Geben Sie Ihren prachtvollen Schuhen ein Küsschen von mir. Bis später dann!«
»Ja, mache ich«, erwiderte Alice. Es war bereits nach elf, eigentlich zu spät, um Blue Shoes noch aufzumachen. Aber Alice hatte sowieso noch etwas anderes vor. Sie wollte bei Tims Wohnung vorbeigehen, um herauszufinden, was los war.
KAPITEL 18
T im zögerte einen Augenblick lang, bevor er zu Alice sagte:
»Komm herein«, und ihr mit dem Summer die Haustür öffnete. Seine Stimme klang komisch, das erste schlechte Zeichen. Ein weiteres schlechtes Zeichen waren die Müllsäcke aus Plastik, die sich vor seiner Wohnungstür stapelten. Laurens Wohnungstür. Sortierte er etwa schon ihre Sachen aus?
Die Tür stand einen Spalt weit auf, also trat Alice einfach ein. Austin spielte im Wohnzimmer. Er hatte noch seinen Schlafanzug an. Sie beugte sich herunter, um ihn auf den Scheitel zu küssen.
»Wo ist Daddy?«
»In der Küche.« Er wandte den Blick nicht von seinem Spielzeug. Wie lange wollte Tim ihn wohl noch zu Hause behalten?
In der Küche stand Tim mitten in Bergen von Geräten, Geschirr, Töpfen und Pfannen. Der Starmix, den Alice Lauren vor kurzem geschenkt hatte, damit sie das Essen für das Baby pürieren konnte, stand noch unausgepackt auf der Theke. Tim wirkte entnervt und erschöpft.
»Was machst du da, Tim?«
»Das wollte ich dir und Mike morgen erzählen.« Tim griff in seine Hemdtasche und zog sein Päckchen Zigaretten heraus. Er nahm eine und wollte sie gerade anzünden.
»Tim, bitte nicht«, protestierte Alice. »Ich bin schwanger.« Sie war überrascht über ihr forsches Auftreten, aber sie hatten eine Grenze überschritten: Sie hatte Tim bei etwas erwischt. Von nun an würde sie ihn nicht mehr wie ein rohes Ei behandeln. Er legte die Zigarette auf die Theke und steckte das Päckchen wieder in seine Hemdtasche.
»Es tut mir Leid.« Er hob flehend die Hände. »Alice, es tut mir wirklich Leid. Ich will hier nicht weg. Ich will gar nichts. Aber ich kann nicht wieder zur Arbeit gehen, und ich kann nicht hier bleiben.«
»Wir helfen dir, Tim. Bitte, lass uns…«
»Du verstehst das nicht.« Er trat an die Spüle, drehte den Hahn auf, hielt seine Hände unter das kalte Wasser und trocknete sie an seinem Hemd ab. »Es hat nichts mit Geld zu tun. Was das Geld angeht, kann ich es mir leisten, zu Hause zu bleiben. Aber ich kann einfach nicht mehr hier sein. Verstehst du? Ich kann nicht mehr hier sein!«
Ja, Alice verstand. Ihr ging es nicht anders. Sie wäre auch am liebsten weggelaufen vor all den Erinnerungen an Lauren. Aber sie musste auch an ihre Familie denken. Und dasselbe galt für Tim.
»Was ist mit Austin?«
»Das wird schon gehen. Wir machen Urlaub und fangen irgendwo neu an.«
»Nimmst du ihn aus der Schule?«
»Alice, er ist im Kindergarten. Es wird schon gehen.«
Irritiert ergriff Tim seine unangezündete Zigarette, drehte sie zwischen den Fingern und legte sie wieder zurück auf die Theke. »Wenn wir zurückkommen, suche ich uns eine neue Wohnung und gehe wieder zur Arbeit. Aber es wird nichts mehr so sein, wie es vorher war.«
»Wohin fährst du?«
Tim zuckte mit den Schultern, und Alice sah ihm an, dass er diese Frage nicht beantworten konnte. Aber sie konnte sie doch nicht einfach so gehen lassen! Wie konnte Tim Austin von den Leuten wegreißen, die sein ganzes Leben lang seine Familie gewesen waren?
»Richtung Westen wahrscheinlich. Den Winter über. Im Frühjahr kommen wir zurück.«
Alice nickte langsam. »Wie können wir dich erreichen?«
»Ich rufe euch an, wenn ich eine Adresse habe, okay? Alice, ich werde keinen von euch je vergessen. Wir verlassen nicht euch, sondern wir… wir gehen einfach.«
»Und was ist mit den Ermittlungen? Weiß die Polizei Bescheid?«
»Ja, das habe ich mit ihnen geklärt. Sie brauchen mich nicht mehr. Alice«, fügte er mit solcher Bitterkeit hinzu, dass sie begriff, er glaubte, sie traue ihm nicht. Er nahm seine Zigarette und zündete sie an. »Hör zu. In zwei Tagen
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