7 Werwolfstories
Gloria, ob ihm das Herz brach oder nicht, es hatte keinen Sinn, seinen Kummer in Alkohol zu ertränken. Wenn man sich so elend fühlte und sogar unter der Einbildung laborierte, ein Werwolf gewesen zu sein …
Aber wieso konnte er sich das so eindringlich vorstellen? Ein Bruchstück der Erinnerung nach dem anderen drängte sich in sein Bewußtsein, während er sich anzog. Wie er mit dem Bärtigen zum Strawberry Canyon gegangen war, wie sie dort einen einsamen Platz fanden, wie er die Zauberformel lernte – er konnte sich sogar an die Worte erinnern: an das Wort für die Verwandlung und an das Wort für die Zurückverwandlung.
Entsprangen auch diese Worte nur der Einbildungskraft eines Betrunkenen? Hatte er sich auch das nur eingebildet, woran er sich schemenhaft erinnerte – die wundervolle, zauberhafte Freiheit der Verwandlung, der kurze, scharfe Schmerz in dem Augenblick, als seine Gestalt sich veränderte, und danach die grenzenlose Glückseligkeit, sich geschmeidig und schnellfüßig und frei bewegen zu können?
Er betrachtete sich im Spiegel. Er sah genauso aus, wie er aussehen sollte, außer daß sein dezenter grauer Einreiher zerknautscht war. Ein ruhiger Wissenschaftler, vielleicht mit einer besseren Figur, mehr Impulsivität und einem ausgeprägteren Hang zur Romantik als die meisten anderen, aber unverkennbar – Professor Wolf.
Alles andere war unsinnig. Doch der impulsive Teil seines Wesens wisperte ihm zu, daß es nur einen Weg gab, um das zu beweisen: indem er ›Das Wort‹ aussprach.
»Na gut«, sagte Wolfe Wolf zu seinem Spiegelbild. »Ich werd’s dir beweisen.« Und er sprach es aus.
Der Schmerz war schärfer und stärker als in seiner Erinnerung. Alkohol dämpfte die Schmerzempfindlichkeit. Einen Moment lang überfiel ihn eine schlimme Pein. Dann war alles vorüber, und er streckte glücklich überrascht seine Glieder.
Aber er war kein geschmeidiges, schnellfüßiges und freies Tier. Er war ein Wolf, der hilflos in einem dezenten grauen Einreiher verheddert war.
Er versuchte aufzustehen und ein paar Schritte zu machen, aber die Jackenärmel und Hosenbeine waren wie Fallstricke, und er landete flach auf der Schnauze. Er stieß mit den Pfoten, versuchte, den Anzug zu zerreißen, hielt aber sofort inne. Werwolf oder nicht, er war immer noch Professor Wolf, und der Anzug hatte 35 Dollar gekostet. Es mußte doch ein billigeres Mittel geben, um seine Freiheit zu erlangen.
In Gedanken stieß er einige gediegene plattdeutsche Flüche aus. Diese Komplikation war in keiner der Werwolf-Legenden vorgekommen, die er bisher gelesen hatte. Im Buch wurden die Leute – bumm! – Wölfe oder verwandelten sich – peng! – in Menschen zurück. Als Menschen waren sie bekleidet, als Wölfe bepelzt. Eine glatte Irreführung. Jetzt erinnerte er sich, daß Ozymandias der Große ihm befohlen hatte, sich auszuziehen, ehe er ihm die Zauberformel beibrachte.
Die Zauberformel! Das war’s! Er brauchte nur das Wort für die Rückverwandlung zu sagen: Absarka!, und er würde wieder ein Mann sein, der sich bequem in seinem Anzug bewegen konnte. Dann würde er sich erstmal ausziehen, ehe er einen neuen Versuch unternahm. Wirklich, mit etwas Überlegung war alles einfach. »Absarka!« sagte er.
Oder zumindest glaubte er, es gesagt zu haben. Doch aus seiner Schnauze kam nur ein Winseln. Und er war immer noch ein dezent gekleideter hilfloser Wolf.
Das war schlimm. Wenn er nur durch das Wort Absarka befreit werden konnte, er aber in seiner Wolfsgestalt nicht zu sprechen vermochte – dann saß er in der Patsche. Für immer und ewig. Er konnte natürlich Ozzy suchen und fragen, aber wie sollte ein in einen grauen Anzug
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