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70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament

70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament

Titel: 70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hin und ging in die Stube. Die Alte legte beide Hände auf das Schreiben, als ob sie ein heiliges Gut bewahren müsse, und sagte zum König, der der rührenden Szene stehend beigewohnt hatte:
    „Setzen 'S sich doch noch ein wengerl zu mir her! Ich glaub's halt, daß alles so ist, denn das Siegellacken ist ja auf den Brief gemacht, und doch möcht ich Sie fragen, ob's auch wirklich und gewißlich wahr ist.“
    „Sie dürfen nicht zweifeln.“
    „Auch an denen fünftausend nicht?“
    „Nein. Es wird sogar noch mehr.“
    „Was? Noch mehr?“
    „Ja, noch sechshundert mehr.“
    „Herrgott! Das wächst ja wie die reine Überschwemmung! Wann's so fortgeht, so wird's bald eine Millionen sein!“
    „Nun, so hoch kommt es wohl schwerlich.“
    „Ja, machen 'S nur so weiter, dann haben wir sie morgen oder übermorgen sicher! Gib her! Das wird mich stärken!“
    Sie nahm das Kalmusstück und das Messer, welches beides Hanna ihr gebracht hatte, schnitt sich ein Stück ab und schob es in den Mund. Dann fuhr sie kauend fort: „Wieviel wird's nachher zusammen sein?“
    „Das ist leicht auszurechnen“, antwortete Ludwig. „Ihr Mann ist seit neun Jahren tot, das macht neunmal sechshundert; eine Jahrespension bekommen Sie pränumerando, das macht zehnmal sechshundert. Und dazu kommen zweihundertundsiebzig Mark Verzugszinsen, macht zusammen sechstausendzweihundertundsiebenzig Mark.“
    „Sechstau – Herr, sind 'S denn gescheit im Kopf?“
    „Es ist schon so!“ nickte der König, innerlich hoch vergnügt.
    „Ist's wahr, Hanna?“
    „Ja, Mutter.“
    „Da muß ich doch gleich –“
    Sie schnitt eiligst noch ein Stück Kalmus ab, schob es der Tochter hin und fuhr fort:
    „Da, kau schnell, sonst fallt auch dir der Schreck in den Magen. Und wann der einmal drinnen ist, so kann er nicht wieder heraus!“
    Hanna war vor Freude ganz außer sich. Sie weigerte sich nicht, das sonderbare Mittel zu nehmen. Sie schob den Kalmus mechanisch zwischen die roten Lippen und weißen Zähne und begann zu kauen. Das sah so urkomisch aus, daß der König in ein herzliches Lachen ausbrach. Hanna errötete vor Verlegenheit; ihre Mutter aber fragte:
    „Was lachen 'S denn? Wohl über meinen Kalmussen?“
    „Ja.“
    „Den dürfen 'S mir nicht verlachen. Der macht die Nerven stark und ist das allerbeste Mittel gegen alle Zufälligkeiten des Leibes und der Seelen. Den hab ich schon gut erprobt. Sie wissen es halt gar nicht, was es zu bedeuten hat, wann zwei so arme Würmern, wie wir halt sind, ein solches Geld – aber, da fällt mir ein: Wann wir das prämando erhalten sollen, so muß das also – hm! Wann werden wir es denn erhalten?“
    „Sofort.“
    „Was heißt das? Wann die Herren vom Amt sagen sofort, so heißt das gewöhnlich, daß es in mehreren Monaten oder Jahren geschehen soll.“
    „Nein, hier heißt es so viel wie gleich.“
    „Da meinen 'S, daß wir das Geldl heut noch erhalten werden?“
    „Ja.“
    „Von wem denn?“
    „Von mir.“
    „Sie haben's mit?“
    „Ja.“
    „Und wollen's hierher legen? Daher auf diesen Tisch? Vor meinen Augen?“
    „Gewiß.“
    Sie starrte ihn an, ganz fassungslos, dann raffte sie sich mit aller Gewalt zusammen, schnitt schnell ein Stück Kalmus ab, schob es ihm in den Mund und rief:
    „Da, kauen 'S auch einen Kalmussen! Mir scheint, es ist Ihnen ein Rad sprungen hinter der Stirn dahier.“
    Sie tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Stirn. Er biß lachend auf die sonderbare Medizin und antwortete:
    „Oh, hier ist alles in Ordnung und hier auch.“
    Bei diesen Worten deutete er zunächst auf seine Stirn und schlug dann gewichtig an die Brusttasche seiner Joppe.
    „So! Alles richtig? Da und dort! In der Taschen soll wohl das Geldl stecken?“
    „Ja.“
    „So zeigen 'S doch mal her! Zählen 'S mal vor! Ich kann's nicht glauben!“
    Er zog seine Brieftasche heraus, öffnete sie und begann, zweiundsechzig Hundertmarkscheine auf den Tisch zu legen. Dann zog er die Börse und fügte aus derselben noch siebzig Mark hinzu.
    „So!“ sagte er, von dieser Arbeit aufblickend. „Das ist Ihr Eigentum. Nehmen Sie es an sich!“
    Aber er erschrak über das Aussehen der alten Frau. Sie war mit dem Oberkörper in die Lehne des Stuhles gesunken. Ihre Wangen waren totenblaß, und ihr Kopf hing schlaff auf die Brust herab.
    „Mutter, Mutter, meine liebe, liebe Mutter!“ rief Hanna voller Angst.
    „Sie ist ohnmächtig geworden“, beruhigte sie der König, indem er die Hand der Frau ergriff, um

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