71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
dokumentieren könne, aber grad das Geläute ‚Äppelpäppel‘ wurde in einer solchen Tonhöhe vorgetragen und klang doch so glockenrein aus tiefster Brust, es war eine so prachtvolle Nachahmung, daß man glaubte, in Wirklichkeit drei kleine Glöcklein eines armen Dorfes läuten zu hören. Als er diese Strophe beendet hatte, wurde er mit einem rauschenden Beifall belohnt. Er zuckte, anstatt sich dankend zu verbeugen, leicht die Achsel, als ob er sagen wollte: Hört nur erst weiter, bevor ihr applaudiert. Dann trat er einen Schritt vor und fuhr fort:
„Mein Sohn, wo du den Ton vernimmst,
Da kann dein Herz nicht lachen,
Da rat ich, daß du weiter schwimmst
In dem bekränzten Nachen.
Doch wo das Baßgeläut erscholl,
Da kehre nicht, mein Sohn, um,
Da labe dich, der Andacht voll,
Und singe: Vinum bonum,
Vinum bonum, vinum bonum!“
Die Aufgabe, welche dieses Lied an den Sänger stellte, war die Nachahmung des Glockengeläuts. Jetzt ließ Anton ein tiefes, melodisches Läuten erschallen, daß man meinte, die Glocken schwingen sehen zu müssen. Die Nachahmung war eine wirklich meisterhafte, und es wurde ihm dafür ein ungeheurer Applaus zuteil. Man rief in stürmischer Weise da capo. Der Pianist begann auch bereits die Einleitung, da er glaubte, daß der Sänger diesen Beifall doch sicher belohnen werde. Anton aber gab ihm mit der Hand ein verneinendes, unwilliges Zeichen, nickte den Zuhörern leicht zu und schritt zum Saal hinaus. Der Pianist brach natürlich ab und folgte ihm verlegen.
Dieses hochmütige Verhalten ließ sofort die noch anhaltenden Zeichen des Beifalls verstummen. Draußen im Musikantenzimmer fragte der Pianist den Sänger, warum er nicht noch eine Strophe gesungen habe.
„Weil das Lied nur diese drei hat“, antwortete Anton kurz.
„In diesem Fall pflegt man die letzte zu wiederholen.“
„Was andere tun und pflegen, geht mich nichts an. Ich singe ein jedes Lied zu Ende; über das Ende hinaus gibt's nichts.“
„Aber, Herr, dieser Beifall!“
„Den habe ich verdient; darum brauch ich ihn nicht extra zu belohnen. Kein Mensch wird etwas Wohlverdientes auch noch extra bezahlen. Kennen sie die Ubertinka?“
„Nein.“
„Sie muß sich doch drin im Saal befinden?“
„Selbstverständlich.“
„Hm! Welche mag es sein. Haben Sie bereits Noten von ihr erhalten?“
„Noch nicht. Sie wird jedenfalls der richtigen Ansicht sein, daß ich die Begleitung vom Blatt zu spielen vermag.“
Jetzt folgte ein Mozartsches Quartett, von der kleinen Kapelle exekutiert, und dann kam der Diener, um den Herren Künstlern zu melden, daß jetzt die Signora singen werde.
„Da muß ich doch hinaus, sie zu begleiten!“ sagte der Pianist.
„Ist nicht nötig. Graf Senftenberg hat die Begleitung übernommen.“
„Ah, vornehm, sehr vornehm!“ knirschte Anton. „Auch ich sollte dem Herrn Grafen meine Noten schicken. Wenigstens bekommen wir jetzt endlich diese ‚größte‘ Künstlerin zu hören und hoffentlich auch zu sehen.“
Er trat an die Tür, welche in den Musiksalon führte. Er wollte dieselbe um eine kleine Lücke öffnen, fand aber zu seiner Überraschung, daß man von innen – den Schlüssel umgedreht hatte.
„Donnerwetter, es ist verschlossen!“ fluchte er. „Das ist doch toll, das ist unverschämt. Ich werde mir das nicht wieder gefallen lassen.“
Er warf sich in einen Sessel, aber er blieb nicht lange sitzen, denn drinnen im Saal erklang jetzt eine Stimme, eine so wunderbare Stimme, daß es ihn vom Sessel emporriß.
Leni hatte, ohne dazu aufgefordert zu sein, dem Grafen gesagt, daß sie jetzt bereit sei, das erste der beiden Lieder vorzutragen, und er hatte die Wirtin darüber verständigt.
Als diese letztere es weitermeldete, ging eine Bewegung durch den Saal. Jeder und jede suchte den verlassenen Platz wieder auf und machte es sich auf demselben so bequem wie möglich, um ja dann während des Vortrags kein Geräusch zu verursachen.
Der Sepp schlängelte sich langsam an der Wand hin bis zu der Tür, welche in die Musikantenstube führte. Er ahnte, daß man von dorther neugierig sein werde, und drehte, ohne daß es von jemand bemerkt wurde, den Schlüssel um.
Darum konnte Anton dann nicht öffnen.
Nun nahm der Graf Lenis Arm und führte sie nach dem Piano. Dort verkündete er den Vortrag des Lieds ‚Behüt dich Gott‘, Abschied der Mutter von ihrem scheidenden Kind.
Als er sich dann selbst an das Instrument setzte, vernahm man jenes leise Rauschen und Wehen, welches durch
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