71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
müssen sehen, wie sie aus dem Fenster zur Erde gelangt ist.“
Sie kehrten zu dem Wagen zurück und traten grad unter dem Fenster an die Mauer. Es war nichts zu sehen.
„Sappermenten! Ich hab fast glaubt, daß hier ein Seil herabhangen werd.“
„Ein Seil nicht, aber eine Schnur“, antwortete Fritz, welcher mit der Hand an der Wand hingestrichen und dabei die Schnur zwischen die Finger bekommen hatte.
„Zeig her!“
Der Knecht gab sie dem Sepp in die Hand. Dieser prüfte sie und sagte erstaunt:
„An diesem Bindfaden kann sie doch nicht herabstiegen sein! Der ist viel zu dünn. Meinst nicht auch?“
„Ja. Der wäre ganz sicher zerrissen.“
„Natürlich. Man braucht ja nur zu versuchen, mal daran zu ziehen, so sieht man sogleich – Himmelsakra!“
Er sprang zurück und drehte sich schnell um. Er glaubte, von irgend jemand einen Hieb auf den Kopf erhalten zu haben. Sein Hut war ihm herunter geschlagen worden. Aber zu seinem Erstaunen erblickte er keinen Menschen.
„Da schlag der Teuxel hinein!“ sagte er. „Es ist niemand hier!“
„Wer soll denn da sein?“
„Der natürlich, der mich über den Kopf haut hat. Der Kerl muß sich hinter den Wagen steckt haben.“
Er wollte fort, um dort nachzuschauen, doch Fritz hielt ihn zurück.
„Bleib! Hast denn nicht merkt, wer's gewesen ist?“
„Nein.“
„Schau her. Hier hängt's.“
Er deutete nach der Mauer. Da, wo vorhin nur die Schnur sich befunden hatte, hing jetzt eine Strickleiter herab.
„Sappermenten! So war diese es, die mir auf den Kopf fallen ist?“
„Ja.“
„Na, so ist's gut! Besser konnt's ja gar nicht kommen. Da können wir also nun aufi und die Geschichten recht genau betrachten. Gehst natürlich mit?“
„Ja. Aber eine dumme Geschichten ist es doch, Sepp.“
„Warum?“
„Wann die Bäuerin zurückkommt und die Strickleiter hängen sieht, so wird sie gleich wissen, daß wer dagewest ist.“
Der Alte kratzte sich.
„Verdammt! Ja, da hast freilich recht. Wie die Leiter wieder hinauf zu bringen!“
„Möglich muß es sein.“
„Vielleicht.“
„Sogar sehr leicht.“
„Wieso?“
„Weils die Bäurin auch hinaufbracht hat. Und das ist schnell gangen; nur einen Augenblick hat's dauert.“
„Hm! Vielleichten mit dera Schnuren. Wo ist sie denn?“
Er suchte nach ihr; sie war nicht mehr da; aber an ihrer Stelle gab es eine zweite, welche, wie der Sepp merkte, durch Ösen an der Strickleiter emporlief.
„Da ist ein anderer Bindfaden“, sagte er. „Will's mal versuchen.“
Er zog. Der Erfolg war ein augenblicklicher. Nämlich die Schnur wurde ihm aus der Hand gerissen, die Strickleiter fuhr empor, und an ihrer Stelle kam der Bindfaden wieder herab, welcher zuvor herabgehangen hatte.
„Sapperment!“ kicherte der Alte erfreut. „Da haben wir's. Das ist ja eine ganz richtige Maschinerie. Zieht man an diesem Faden, so kommt die Leiter abi, und zieht man an dem anderen, so geht sie wiederum aufi. Das hat die Bäuerin sich sehr gut aussonnen.“
„Aber warum?“ meinte Fritz. „Warum steigt sie zum Fenster heraus?“
„Warum? Dumme Frag! Kann sie denn durch die Mauer heraus?“
„Nein; aber zur Hintertüren.“
„Ja, das ist schon wahr. Aber das ist zu gefährlich für sie. Wie leicht könnte sie da mal entdeckt werden. Sie kann die Tür doch nicht von außen wieder zumachen. Sie müßt sie also auflassen, und das tät natürlich auffallen.“
„Hm! Da hast recht. Und wann jemanden bemerken tät, daß die Tür auf ist, so tät er sie natürlich zumachen. Dann könnt die Bäuerin nicht wieder herein, wann sie zurückkäm. Dann wär alles verraten.“
„Siehst also, wie schlau sie ist! Jetzt aber wollen wir aufisteigen.“
„Probier erst mal, ob's dich hält.“
„Jedenfalls. Es geht.“
Er hing sich an die Leiter, und da sie nicht zerriß, so vertraute er sich ihr an und stieg hinauf und zum Fenster hinein.
„Komm nach! Es geht halt prächtig“, flüsterte er herab.
Bald stand auch Fritz in der Schlafstube.
„Nun suchen wir das Licht“, meinte der Sepp. „Als sie es verlöschte, stand es auf dem Tisch.“
„Ist's nicht gefährlich, das Licht anzubrennen?“
„Nein.“
„Wann man uns sieht!“
„Wer soll uns sehen. Alle schlafen hier auf dieser Seit, und der Bastian ist mit dera Bäuerin fort. Es ist ja gar niemand da, der uns sehen könnt.“
„Wann sie nun indessen zurückkehrt!“
„So ist's auch kein Unglück. Sie hätte da alle Ursach, zu verschrecken, nicht aber
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