711 N. Chr. - Muslime in Europa
erlebte eine Phase der Blüte. Nach der verlustreichen Schlacht bei Simancas im August 939 konzentrierte sich der Herrscher vorrangig auf die institutionelle Festigung seines Reiches. Mit den religiösen Minderheiten gab es keine Probleme mehr. Im Gegenteil, jetzt wo der islamische Verwaltungsapparat voll eingerichtet war, die Märkte und Bäder rege besucht wurden und die Landwirtschaft der Iberischen Halbinsel im wahrsten Sinne reiche Früchte trug, traten viele Nicht-Muslime der Glaubensgemeinschaft bei. Vorbei waren die Tage der sogenannten »Märtyrer von Córdoba«, die sich Mitte des 9. Jahrhunderts mit fanatischer Inbrunst gegen ein weitergehende Islamisierung gewandt und diese »Beleidigung« des islamischen Glaubens mit dem Leben bezahlt hatten. Zugleich schwang sich das Kalifat angesichts des anhaltenden Drucks der Fatimiden auf alle Nachbarreiche zu einem begehrten Bündnispartner auf. Selbst die Byzantiner suchten den Schulterschluss mit Córdoba. So stieg die Hauptstadt des Kalifats zu einem der bedeutendsten Kultur- und Wirtschaftszentren auf. Die aus dem Orient eingeführte Zucht von Seidenraupen mehrte den Wohlstand ebenso |85| wie Fortschritte in der Landwirtschaft durch den Einsatz neuer Bewässerungstechniken. Voraussetzung für all dies war Friede, der das Land zur Ruhe kommen ließ. Bis zur Jahrtausendwende hielt die Überlegenheit des Kalifats gegenüber den christlichen Nachbarreichen an, die sich durch Tributzahlungen den Waffenstillstand erkauften. Die Nachfolger Abd ar-Rachmans beschritten denselben Weg. Doch war der Friede nicht von Dauer.
Al-Mansur und die Glocken von Santiago
Santiago de Compostela, 10. August 997. Rauch steigt über dem Grab des Apostels Jakob auf. Ein schwarzer Tag für die Christenheit. Abu Amir Mohammed ibn Abdallah ibn Abi Amir (um 938– 1002), genannt »al-Mansur bi-llah«, »der mit Gott Siegreiche«, ist über die Wallfahrtsstätte hergefallen. Die mächtigen Glocken werden heruntergeholt. Sie sind das Symbol des Sieges. Hunderte von Kilometern sollen sie von christlichen Gefangenen, die zu Sklaven geworden sind, in der Gluthitze des spanischen Sommers nach Córdoba geschleppt werden. Dort werden die Glocken zu Lampen für die prächtige Moschee umgeschmolzen. Bis heute sind sie als stumme Zeugen der Geschichte dort zu sehen.
Al-Mansur bi-llah oder Almansor herrschte seit 978 faktisch über das Kalifat von Córdoba. Der minderjährige Kalif Hisham II. (966–1013) blieb zwar offiziell im Amt, war politisch jedoch bedeutungslos. Wie aber war es dem Wesir gelungen, sich an die Spitze des Reiches zu stellen?
Die Tradition besagt, dass Almansor einer Familie entstammte, die 711 mit Tariq ibn Ziyads auf die Iberische Halbinsel gekommen ist und ihre Wurzeln im Jemen hat. Almansor wurde um 938 in Algeciras geboren, wo ihm die Stadtväter im Jahre 2002 ein Denkmal setzten. In Córdoba studierte er islamisches Recht und die von den Arabern zur Wissenschaft erhobene Grammatik. Nach Abschluss seiner Studien begann er als Sekretär der Kanzlei eine Karriere am Hof. Im Jahre 976 starb Kalif al-Hakam II. (915–976), was innere Wirren auslöste. Die Eunuchen wollten anstelle des erst zwölfjährigen rechtmäßigen Nachfolgers Hisham II. einem anderen iberischen Omaijaden zur Macht verhelfen. Es gelang der |89| Witwe al-Hakams, gemeinsam mit dem Wesir al-Mushrafi und dem Truppenführer Galib die Verschwörung niederzuschlagen. Zu dieser Zeit begann die entscheidende Phase von Almansors Aufstieg. Er heiratete die Tochter Galibs und betrieb mit Eifer die Absetzung al-Mushrafis. Um ganz an die Spitze zu gelangen, musste der zum Kämmerer aufgestiegene Almansor nur noch seinen Schwiegervater Galib beseitigen. Nachdem ihm dies gelungen war und er einen neuerlichen Aufstand der Eunuchen im Keim erstickt hatte, war er am Ziel.
|86| Das Gesicht einer arabischen Stadt in Spanien
Das einstige Zentrum Toledo verlor nach Errichtung des Emirats von Córdoba an Bedeutung. Trotzdem ist die weitere Entwicklung der Stadt typisch für die Städte Spaniens, die unter arabische Herrschaft gerieten. Sie steht als gut dokumentiertes Beispiel für vergleichbare Erscheinungen in al-Andalus. Bis sich die muslimische Herrschaft in vollem Umfang auch institutionell etabliert und sich eine Administration herausgebildet hatte, scheinen die Juden eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben der Stadt gespielt zu haben. Auch in späteren Jahrhunderten finden sich in vielen Städten von al-Andalus
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