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711 N. Chr. - Muslime in Europa

711 N. Chr. - Muslime in Europa

Titel: 711 N. Chr. - Muslime in Europa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Peter Jankrift
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zweifelsohne die Mehrheit der rund 30   000 Einwohner gebildet haben. Welche zahlenmäßigen Veränderungen die jüdische und die mozarabische Bevölkerung erfuhr, lässt sich ebenso wenig ergründen. Vor allem Konversionen wie auch Emigration in die christlichen Herrschaftsgebiete im Norden der Iberischen Halbinsel führten dazu, dass in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts nur noch ein verhältnismäßig kleine Gruppe von Mozarabern in Toledo lebte. Umstritten ist die These, dass es in der letzten Phase islamischer Herrschaft nach 1031 zu einer verstärkten Einwanderung von Christen aus dem Norden der Iberischen Halbinsel gekommen sei, die bei der christlichen Rückeroberung der Stadt das Rückgrat einer blühenden mozarabischen Gemeinschaft gebildet habe. Diego Adrián Olstein hat unlängst anhand mozarabischer Urkunden aus Toledo belegen können, dass ein stärkerer Zuzug arabisierter Christen aus anderen Städten Spaniens wohl erst um 1150 einsetzte. Schriftliche Quellen über das Leben der christlichen und jüdischen Minderheit Toledos unter islamischer Herrschaft sind spärlich. Obwohl archäologische Funde belegen, dass Juden bereits jahrhundertelang in der Stadt ansässig waren, wird der erste schriftliche Beleg für die Existenz einer jüdischen Gemeinde in der Stadt nicht vor dem Jahre 1083 greifbar. Rabbi Bu Ishaq ben Nahamiyyas al-Yahudi erscheint in dem mozarabischen Dokument als Käufer eines Weinbergs »nach dem Recht der Muslime«, den er für die Summe von 300 Mizcales von der Christin Schamila, Tochter des Farag, erwarb. Es wäre gewagt, auf Grundlage dieses einzigen und auch späten Zeugnisses Rückschlüsse auf die Prosperität der jüdischen Gemeinschaft in Toledo unter islamischer Herrschaft zu ziehen. Der Kaufvertrag zeigt indes, dass Angehörige verschiedener Religionen geschäftliche Beziehungen untereinander pflegten, darunter auch Grunderwerb, die auch dann islamischen Rechtsnormen unterlagen, wenn keine Muslime am Geschäft beteiligt waren.
    Sowenig sich mit Bestimmtheit über die alltäglichen Lebensumstände von Christen und Juden unter islamischer Herrschaft sagen lässt, sowenig geben zeitgenössische Quellen Auskunft darüber, |92| welche Auswirkungen der Zerfall des omaijadischen Kalifats nach dem Tod des mächtigen »ersten Ministers« (arab.
hagib
) Ibn Abi Amir, genannt Almansor, im Jahre 1002 und die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen der Folgejahre auf den Alltag religiöser Minderheiten in Toledo hatten. Genährt wurden die Zwistigkeiten wohl vor allem von Berbern und Sklaven, die Almansor ebenso wie Söldner für seine Kriegszüge in großer Zahl nach al-Andalus hatte bringen lassen.
    Nach bürgerkriegsähnlichen Zuständen (arab.
fitna
), in denen sich vor allem ethnische Konflikte zwischen Arabern und Berbern entluden, kam es bis 1031 zur Ausbildung von etwa dreißig kleineren Königsherrschaften, den sogenannten Taifenreichen (arab.
taifa
). Dieser tiefgreifende machtpolitische Umbruch, der die muslimische Position auf der Iberischen Halbinsel insgesamt schwächte, spielte in der Folgezeit eine wichtige Rolle im Fortgang der Reconquista und schuf zugleich einen Präzedenzfall in der Geschichte des Islams. Eine Waffenruhe – einen dauerhaften Frieden schließen die Bestimmungen des Koran aus – zwischen Muslimen und Christen oder Juden war gemäß
dimma- Recht
nur durch die Unterwerfung der Nicht-Muslime möglich. Diese beruhte auf dem symbolischen Akt der Tributzahlung. Hatte sich das Instrument der bereits erwähnten
gizya
im 11. Jahrhundert längst zu einer individuellen Abgabe der unter islamischer Herrschaft lebenden Nicht-Muslime gewandelt, fand es nun wieder in seiner ursprünglichen kollektiven Form Anwendung. Während christliche Herrscher zunächst noch Tribute an die Taifenkönige ablieferten, änderten sich diese Verhältnisse spätestens in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Nun waren es die Taifas, die sich durch regelmäßige Zahlung von
parías
an christliche Könige Ruhe verschafften. Der Fall, dass Muslime Tribute an Christen entrichten, ist allerdings weder im Koran noch in der weiteren religiösen Überlieferung (arab.
hadit
; Bericht, Mitteilung, Erzählung) behandelt und stellt ein theologisches Problem dar. Für zeitgenössische Rechtsgelehrte, die verschiedentlich daran erinnerten, dass gemäß der Lehre des Propheten kein Muslim unter der Herrschaft Andersgläubiger leben soll, dürften Tributzahlungen an Christen einer

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