72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
erhalten.“
„Was soll ich denn dafür geben?“
„Deine Unterschrift.“
„Wozu?“
„Daß du auf die Vormundschaft verzichtest und überhaupt nichts dagegen hast, daß Anita mit mir nach Deutschland geht.“
„Das tue ich nicht.“
„Nun gut, so hebe dich von dannen.“
„Nein, nein, das kann ich nicht unterschreiben!“
„Das hast du bereits gesagt und wir sind also fertig. Pack dich, sonst klingle ich.“
Er griff nach dem Klingelzug. Da rief der Maler:
„Halt! Ich unterschreibe.“
„Gut, kannst du deutsch schreiben?“
„Ja. Wir wohnen doch an der Grenze.“
„Gut, so setze dich. Ich werde dir diktieren.“
Er gab ihm einen Bogen Papier nebst Tinte und Feder hin und diktierte:
„Ich bescheinige hiermit, daß ich meiner bisherigen Mündel Anita erlaube, mit ihrem gegenwärtigen Beschützer nach Deutschland zu reisen und trete ihm alle meine vormundschaftlichen Rechte ab.“
Nachdem er unterzeichnet hatte, las der Sepp die Zeilen durch und sagte dann lachend:
„So ist's gut. Hier hast du das Geld.“
Er schob ihm hundert Lire hin.
Der Maler steckte sie ein, verbeugte sich mit Grandezza und meinte in stolzem Ton:
„Ich habe aus reiner Kulanz verzichtet und bin froh, daß ich mit dem Mädchen nichts mehr zu tun habe. Addio!“
„Addio! Lauf schnell, daß du fortkommst, sonst helfe ich nach!“
Und weil der Lieblingsschüler wartete, um seinen Meister vorangehen zu lassen, erhielt er von Sepp einen Tritt, daß beide mit unendlichem Schwung hinaus auf den Korridor flogen.
„So“, lachte der Alte, indem er die Tür zumachte. „Damit sind wir fertig. Hast noch Angst vor denen beiden?“
„O nein“, antwortete Anita. „Ich dachte, es werde ganz anders kommen.“
„Wie sollte es kommen? Der Kerl wird wirklich noch angezeigt. Er ist ein Dieb.“
„Wollen wir das nicht lieber lassen?“
„Nein. Du hast achttausend Lire zu bekommen. Es fehlen sechs und ein halbes Tausend.“
„Ich schenke es ihm.“
„Kind, du weißt nicht, was das Geld zu bedeuten hat. Du kannst nichts verschenken.“
„Oh, ich bin froh, daß ich frei bin!“
„Hm! Bist halt ein gutes, braves Ding! Nun, jetzund ist auch von einer Anzeig noch gar keine Red und wer weiß, wie es später wird. Vor allen Dingen haben wir, was wir brauchen, nämlich deine Papieren und auch noch ein hübsches Geldl dazu! Das ist vorderhand genug. An das Spätere wollen wir noch nicht denken.“
Max und Hans hatten im Nebenzimmer alles gehört. Beide kamen jetzt herein und gaben Anita recht, daß sie trotz der Schlechtigkeit ihres Oheims ihn doch nicht ohne Geld hatte fortgehen lassen.
„Sie ist viel zu gut für ihn gewest“, erklärte der Sepp. „Nun aber möcht ich halt wissen, wie sie zu dem Juden kommen ist.“
„Durch einen Dienstvermittler“, antwortete sie.
„Bei dem hast eine Stelle haben wollen?“
„Ja. Ich ging, als ich hier ankam, sofort zu diesem Mann, und er brachte mich zu Baruch Abraham, der mich als Dienstmädchen mietete.“
„So! Also stehst bei ihm in Dienst?“
„So dachte ich. Aber ich durfte gar nicht antreten. Ich kam gegen Abend zu ihm und war hungrig und müde. Er gab mir zu essen und befahl mir dann, schlafen zu gehen. Als ich am andern Morgen erwachte, hatte er mir alle meine Kleider weggenommen und mir nur den einen Rock gelassen, damit ich nicht fortkonnte.“
„Der Schuft!“
„Er tat mich dann zu den andern Mädchen, welche mir sagten, daß ich es sehr gut haben und reich werden könne, wenn ich dem Juden folge.“
„Worinnen sollt denn dieser Gehorsam eigentlich bestehen?“
„Ich sollt – sollt –“
Sie stockte. Ihr Gesichtchen war wie mit Blut übergossen.
„Weiß nun schon!“ nickte Sepp. „Brauchst es mir gar nicht zu sagen. Tätest dich vielleicht fürchten, wannst jetzt mit Baruch Abraham reden müßtest?“
„Ohne dich allerdings.“
„So zieh dich an! Wir gehen aus.“
„Wohin?“
„Zur Polizei.“
„Mein Gott! Ist's wahr?“
„Ja. Ich will den Juden anzeigen.“
„Tu es lieber nicht!“
„Ich muß es tun. Es handelt sich nicht nur um dich, sondern auch noch um andere Personen und Dinge.“
„Gehen Max und Hans auch mit?“
„Freilich, sie haben dich gerettet und sind Zeugen, daß Baruch Abraham dich geschlagen hat.“
„Es wäre viel besser, wenn ich nicht mitgehen müßte.“
„Sei klug, Anita! Vor dera Polizeien brauchst dich gar nicht zu fürchten. Die meint es nur gut mit dir.“
Sie weigerte sich noch ein kleines
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