72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
und zählte die genannte Summe in Münzen und Papier auf. Es war sein einziges Geld, was er hatte. Aber der schlaue Sepp zeigte sich noch nicht zufrieden. Er durchschaute seine Leute und fragte:
„Hat ihr Lieblingsschüler auch Reisegeld?“
„Ja.“
„Von wem?“
„Von mir!“
„Sie nahmen es auch von der Erbsumme?“
„Ja.“
„Er mag es vorzählen!“
Durch Androhung der Arretur brachte er es so weit, daß der Schüler auch noch gegen zweihundert Lire auf den Tisch legte.
„So“, sagte er. „Jetzt wissen wir, woran wir sind. Gehen Sie mal da vom Tisch fort, und treten Sie an die Tür.“
Die beiden gehorchten, und Sepp fuhr dann fort, indem er dem Maler seinen Paß gab:
„Hier haben Sie Ihre Legitimationen. Die anderen Papiere behalte ich.“
„Das geht nicht. Sie gehören mir!“
„Sie gehören Anita, deren Eigentum Ihnen zwar anvertraut, keineswegs aber geschenkt worden ist. Da Sie sich als ein unehrlicher Verwalter erwiesen haben, wird man Sie absetzen und zur Verantwortung ziehen. Ich werde diese Angelegenheit dem Gericht übergeben und Sie zur Anzeige bringen. Ich verklage Sie zur Zahlung von Zins und Zinseszins vom Kapital und vom Grundstück. Ich zeige Sie ferner an der Veruntreuung und Unterschlagung. Und ferner lasse ich Sie bestrafen wegen gewalttätiger Behandlung Ihrer Mündel. Es wird Ihnen das alles nicht sehr gut bekommen. Seien Sie froh, daß Sie sich auf österreichischem und nicht auf italienischem Gebiet befinden. Ich würde Sie sofort arretieren lassen, und Sie kämen in Jahren nicht wieder frei. Machen Sie, daß Sie fortkommen! Wenn Sie sich heut mittag noch hier befinden, lasse ich Sie dennoch durch den Konsul in das Gefängnis stecken!“
Der Maler stand da, als hätte ihn der Schlag gerührt. Er starrte den Alten wie geistesabwesend an. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck der allerdümmsten Verblüffung.
„Aber – aber –“, stotterte er, „das – das dürfen Sie ja gar nicht, das können Sie gar nicht!“
„So? Warum?“
„Was geht Sie denn die Anita an?“
„Jetzt mehr als Sie. Anita hat sich unter meinen Schutz begeben, ich habe ihr denselben versprochen und werde mein Wort halten.“
„Sie ist Ihnen aber fremd.“
„Jetzt nicht mehr. Und obgleich sie nicht meine Verwandte ist, werde ich doch besser für sie sorgen, als Sie es getan haben.“
„Ich – ich protestiere aber gegen das alles!“
„Versuchen Sie es!“
„Ich verlange meine Nichte, mein Mündel! Die Papiere und das Geld!“
„Beides gehört Ihnen nicht.“
„Ihnen aber auch nicht.“
„Nein. Es gehört Anita, und da sie mich dazu beauftragt hat, werde ich es für sie in Verwahrung nehmen.“
„Ich protestiere dagegen!“
„Bringen Sie mir nicht abermals diese alberne Rede! Sie können Ihren Protest nur beim Gericht einlegen, und grad dieses haben Sie zu scheuen.“
Da warf sich der Maler in die Brust und antwortete:
„Was fällt Ihnen ein! Ich brauche mich vor dem Gericht nicht zu fürchten. Ich bin unschuldig.“
„Ach so! Nun gut! Wir werden gleich einmal sehen, ob Sie sich nicht fürchten. Ich werde dem Kellner klingeln und nach der Polizei schicken lassen!“
Er tat als ob er nach dem Klingelzuge gehen wolle. Da aber trat ihm der Maler schnell in den Weg.
„Was hat die Polizei mit dieser Sache zu tun? Wir sprechen nur vom Gericht.“
„Allerdings. Ich will Sie aber durch die Polizei dem Gericht übergeben lassen.“
„Nein, nein, ich gehe selbst hin.“
„Das machen Sie mir nicht weis.“
„O doch! Geben Sie mir nur die Sachen heraus! Ich werde sie auf das Gericht tragen und dort deponieren. Es mag dann darüber entscheiden.“
„Das werde ich selbst viel besser besorgen als Sie. Glauben Sie denn, daß ich so dumm bin, Ihnen zu glauben? Das kann mir ja gar nicht einfallen!“
„Sie können mir vertrauen.“
Er legte die Hand aufs Herz und gab sich alle Mühe, ein möglichst aufrichtiges Gesicht zu machen.
„Schweigen Sie!“ schnauzte der Sepp ihn an. „Jedes Wort von Ihnen ist eine Beleidigung. Ich habe gar keine Lust, meine Zeit noch länger mit Ihnen zu verlieren. Packen Sie sich fort!“
Der Lieblingsschüler zupfte seinen Meister von hinten am Ärmel, daß er gehen solle. Es wurde ihm angst. Der Maler aber hatte keinen Pfennig Geld einstecken. Wie sollte er nach seiner Heimat zurück. Er hatte Hoffnung, daß er vielleicht doch noch durchkommen könne, wenn er recht barsch auftrete. Darum rief er jetzt mit erhobener Stimme:
„So
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