72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
wovon ich die Besinnung verlor. Als ich erwachte, war ich in einer unterirdischen Stube.“
„Das klingt wie aus der Zeit des Mittelalters.“
„Aber es ist halt wahr.“
„Gewiß! Das sehe oder vielmehr das fühle ich an mir! Es ist wie ein Traum. Sind noch mehrere solcher Zellen hier?“
„Ja. Das sind Straflöcher. Sonst aber sind die Dirndls in größeren Stuben einquartiert.“
„Auch unterirdisch?“
„Ja.“
„Was sind denn das für Dirndls, von denen Sie da sprechen?“
„Lauter Dienstboten. Wir sollen halt nach Amerika, nach Kalifornien schafft werden.“
„Ah! Entsetzlich! Jetzt weiß ich, mit welchen Leuten ich es zu tun habe.“
„Wie sind denn Sie hereingekommen?“
„Ich habe ganz zufällig den verborgenen Eingang zu diesen unterirdischen Gemächern gefunden. Ich trat hinein und ahnte nicht, daß eine Sicherheitsvorrichtung vorhanden sei. Nach wenigen Schritten wich der Fußboden unter mir und Stricke schlangen sich ganz von selbst um meinen Leib und meine Glieder. Dann wurde ich aus der Vertiefung gezogen und hier herein geworfen.“
„Herrgottle! So gehören 'S also gar nicht herein?“
„Ebensowenig wie Sie.“
„Dann nehmen 'S sich in acht! Wann 'S ohne Erlaubnis kommen sind, kann's leicht um Ihr Leben gehen.“
„Das befürchte ich doch nicht.“
„Oh, die Menschen, mit denen wir's hier zu tun haben, die kennen halt keine Gnade und kein Derbarmen.“
„Warum hat man Sie in diese Strafzelle getan?“
„Weil ich nicht gehorchen will.“
„Ah! Man will Ihren Willen brechen.“
„Ja. Ich hab' halt schon bereits einige Tag nix zu essen und zu trinken bekommen.“
„Mein Gott! So müssen Sie doch fast verschmachtet sein.“
„Es wird halt nicht mehr lange dauern, so ist's aus mit dem Reden. Die Zung klebt mir schon am Gaumen.“
„So kann ich Sie vielleicht erquicken.“
„Habens was zu trinken mit?“
„Einige Schlucke Wein in der kleinen Feldflasche. Aber ich kann nicht dazu, denn mir sind die Arme gefesselt.“
„Ja, wann 'S herkommen könnten, dann wär's vielleicht möglich, daß ich Ihnen die Stricken aufknüpfen könnt.“
„Was? Ich denke, Sie sind auch gefesselt.“
„Ja, aber nicht so wie Sie. Ich kann die Arme lang bewegen.“
„Dann ist es freilich möglich, daß Sie mir die Stricke lösen können. Daran haben diese Menschen nicht gedacht.“
„Aber ob's auch herkommen können?“
„Es wird schon gehen. Laufen kann ich freilich nicht; aber ich komme schon noch hin.“
Nach einiger Anstrengung saß er neben dem Mädchen auf dem Stroh und ihre Hände beschäftigten sich mit seinen Stricken. Er fühlte, da sie ja seine Hände berühren mußte, ihre Finger heiß glühen. Ihre Gestalt zitterte. Sie hatte Fieber des Durstes.
„Nehmen Sie sich Zeit“, sagte er. „Ich denke nicht, daß wir gestört werden.“
„Das kann man halt nicht wissen.“
„Gelingt es Ihnen, mich von den Fesseln zu befreien, so bin ich gerettet und Sie sind es mit mir.“
„Meinen 'S? Mich kann niemand retten.“
„Warum?“
„Weil wir alle schon heut abend auf das Schiff kommen.“
„Heut? Ich erschrecke!“
„Ja, das ist mein letzter Tag in der Welt.“
„Gott behüte!“ sagte er erschrocken.
„Ja. Mich bringen 'S nicht aufs Schiff, sondern ich stürz mich ins Wassern. Ich mag die Schand nicht derleben, die mir da drüben bevorstehen tut.“
„Mein Kind, Gott ist allmächtig! Den Tod darf man sich nicht geben.“
„So soll – ich die Schand überleben? Das können 'S mir unmöglich raten.“
Er schwieg. Was hätte er sagen sollen? Erst nach einer Weile wiederholte er:
„Machen Sie mich von den Fesseln frei, so rette ich auch Sie.“
„Das können 'S nicht. Mein Schicksal ist besiegelt. Aber wann 'S frei kommen, so können 'S mir einen großen Gefallen erweisen.“
„Gern, sehr gern.“
„Wann 'S nicht bös von mir denken, so will ich's sagen, was ich gern haben möcht.“
„Sagen Sie es getrost!“
„Ich hab einen sehr guten, lieben, alten Freunden, der weiß nimmer, wo ich bin und hat mich doch stets so lieb habt. Ich bin von zu Haus verschwunden wie ein Tröpfle, was vom Baum fällt. Kein Mensch weiß, wo ich bin. Ich weiß, daß heut mein letzter Tag ist. Morgen bin ich tot. Da sollen 'S meinem Freund einen Gruß von mir schicken.“
Sie sagte das halblaut, langsam und unter Tränen. Ihre ganze Gestalt fieberte.
„Sie werden gerettet werden“, tröstete er.
„O nein, o nein.“
„Nun, auch das Schlimmste
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