72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
übrig.“
„Davon ist keine Rede. Sie hat geweint. Sie wird geschlagen. Das muß aufhören!“
Max lachte. Das erboste Johannes so sehr, daß er auf den Tisch schlug und ausrief:
„Ja, aufhören muß es! Ich will es, ich!“
„Du bist ja der reine Bayard!“
„Spotte nur! Zu Bayards Zeit zogen die Ritter aus, um Frauen zu schützen. Die Zeiten sind anders geworden. Jetzt ziehen die Ritter aus, um Frauen zu verführen. Die echte Ritterlichkeit findet ihr Heim nur noch in den Künstlerkreisen. Und wie ich leider an dir sehe, soll sie auch diese ihre letzte Heimat verlieren. Wo wendet sie sich dann hin? Sie hüllt ihr trauerndes Haupt in Flor und stirbt.“
„In Krepp, lieber Johannes, nicht in Flor. Krepp ist jetzt nobel, nicht mehr Flor. Merke dir das, wenn du wieder einmal zu einer ähnlichen Redewendung greifst!“
„Du bist unausstehlich!“
„Aber dennoch ein guter Kerl. Liegt dir denn wirklich so viel an der kleinen Anita?“
„Außerordentlich viel. Ich gestehe es dir offen. Es war mir, als ob ich meine gute Schwester Lisbeth leiden sehe.“
„Das ist etwas anderes. Wenn du es dir so zu Herzen nimmst, so müssen wir auf ein gut Gelingen anstoßen.“
Er goß die Gläser voll, erhob das seinige und sagte:
„Also Anita frei, sei heute die Parole!“
„Wie? Verstehe ich dich recht? Du wolltest dennoch?“ fragte Johannes, sein Glas nun auch erhebend.
„Mensch, Maler, Freund, Bruderherz, konntest du wirklich denken, daß ich dich im Stich lassen würde? Kennst du den Max Walther gar so wenig?“
„Gott sei Dank! Jetzt bin ich vom Alp erlöst! Ja, komm, laß uns zusammenstoßen. Anita sei frei.“
„Pst! Schrei nicht so! Was wir da vorhaben, ist nur für unsere Ohren. Das darf kein anderer Mensch hören.“
„Ach“, antwortete Johannes, „ich möchte es in alle Welt hinausschreien, daß du mir doch noch behilflich sein willst. Das ist so lieb und so gut von dir!“
„Und erst konntest du dich nicht in mich finden. So bist du nun, der reine Gefühlsmensch.“
„Aber wie fangen wir es an?“
„Beim ersten Fleck. Wir gehen durch die kleine Mauerpforte.“
„Da fehlt der Schlüssel. Der hängt ja an dem betreffenden Nagel an der Tür.“
„Ach, was geht mich das an! Wir stehlen ihn.“
„Stehlen?“ fragte Johannes erschrocken.
„Natürlich!“
„Sollen wir zu Dieben werden?“
„Ja, sehr gern sogar.“
„Können wir es denn nicht umgehen?“
„Nein. Du willst es ja partout.“
„Ich?“
„Ja doch. Du willst dem Juden das Mädchen stehlen. Oder hältst du das für keinen Diebstahl?“
„Hm! Stehlen, das klingt so gemein!“
„Ist es auch. Aber wenn es dir keine Schmerzen macht, ihm das Mädchen zu nehmen, warum nimmst du es dir denn so zu Herzen, daß du ihm nebenbei auch noch den Schlüssel entwenden sollst?“
„Recht hast du.“
„Übrigens stehlen wir den Schlüssel nicht, sondern wir hängen ihn wieder hin.“
„Das geht ja nicht!“
„Ganz prächtig sogar.“
„Auch wegnehmen können wir ihn nicht.“
„Oh, du fromme Seele! Durch Diebstahl könntest du dich wohl niemals ernähren. Deshalb habe ich ja gesagt, daß wir wiederkommen werden. Während ich dann mit ihm schachere und seine Aufmerksamkeit ganz auf mich ziehe, maust du den Schlüssel.“
„Ich?“ fragte Johannes erschrocken.
„Ja. Wer sonst?“
„Doch du!“
„Wie du denkst! Auch das will ich tun. Auch diese Sünde will ich auf mein Gewissen nehmen. Aber wie steht es dann mit dir? Hast du das nötige Geschick, die Aufmerksamkeit des Alten von mir abzulenken?“
„Ich werde es versuchen.“
„O weh! Wenn du das in einem solchen Ton sagst, so weiß ich schon im voraus, daß ich erwischt werde. Ich werde wohl beides auf mich nehmen müssen, die Ablenkung der jüdischen Aufmerksamkeit und auch den Diebstahl. Das Leben wird einem bereits in der Jugend sauer gemacht.“
„Aber wenn er den Schlüssel zufällig braucht und ihn dann nicht findet!“
„Er darf ihn eben nicht brauchen. Dafür haben wir zu sorgen.“
„Wie denn?“
„Wir nehmen ihn gleich mit fort. Überhaupt läßt sich nicht jedes einzelne genau vorherbestimmen. Das kommt von selbst. Es gibt da eine viel wichtigere Frage, mit welcher wir uns beschäftigen müssen.“
„Welche?“
„Was tun wir mit dem Mädchen?“
„Hm! Das weiß ich auch nicht.“
„Das ist die geistreichste Antwort, welche du nur geben kannst. Will ein Mädchen entführen und weiß nicht, wohin mit ihr!“
„Ich glaube, du
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