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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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Augen. Ich hatte sie drei Jahre zuvor in Montevideo kennen gelernt; damals war sie mit Rafael zusammen gewesen, dem jüngeren Bruder von Gustavo Zerbino. Rafael hatte unmittelbar vor einer großen Party einen kleineren Autounfall gehabt und mich gefragt, ob ich seine Freundin abholen könne. Ich selbst war mit Roberto und seiner Freundin Laura auf dem Weg zu der Veranstaltung, also fuhren wir bei Veronique vorbei und nahmen sie mit. Rafael sollte eigentlich auf der Party zu uns stoßen, aber er kam nicht, und so wurde ich für diesen Abend zu Veroniques Begleiter. Sie war damals erst sechzehn, strahlte aber eine lässige Eleganz und ein Flair der ruhigen Reife aus, und daran erkannte ich, dass sie mit beiden Beinen fest auf der Erde stand. Ich mochte sie sofort. Wir verbrachten einen wunderbaren Abend mit Reden und Tanzen, und je weiter die Nacht fortschritt, desto stärker beeindruckte sie mich. Aber sie war viel zu jung für mich, und außerdem war sie mit meinem Freund liiert, also hatte ich in der Begegnung nie mehr gesehen als eine lockere Unterhaltung. In den folgenden Jahren sah ich Veronique immer wieder einmal am Strand, in Clubs oder auf Partys, und jedes Mal begrüßten wir uns freundlich. Eines Nachmittags saßen meine Freunde und ich im Publikum, als die Miss Punta del Este gewählt wurde – der Schönheitswettbewerb war eine prestigeträchtige Veranstaltung, zu der die attraktivsten Frauen aus ganz Südamerika anreisten. Wir sahen zu, wie eine atemberaubende Dame nach der anderen im Abendkleid auftrat. Nach einiger Zeit betrat eine große Blondine in eleganter blauer Kleidung die Bühne. Sie bewegte sich ganz anders als ihre Konkurrentinnen. Ihr Gang wirkte weniger einstudiert und hatte mehr natürliche Anmut. Aus ihren Augen blitzte der Humor, und während die Übrigen offensichtlich hart daran gearbeitet hatten, sich möglichst strahlend und glamourös zu präsentieren, zeigte sie ein lockeres Lächeln und eine mühelose Ausstrahlung, aus der ich entnehmen konnte, dass ihr die Sache ehrlich Spaß machte. Es war natürlich Veronique. Sie hatte sich im letzten Augenblick zu dem Wettbewerb angemeldet – Freunde hatten sie dazu gedrängt, weil sie meinten, es werde ihrer Karriere als Model nützen. Als sie am Tisch der Preisrichter vorüberschritt, musste ich kichern. Die anderen Teilnehmerinnen hatten offensichtlich viel Zeit und Mühe auf ihr Aussehen und ihre Kleidung verwendet, bis hin zu den modischen Schuhen. Als Veronique die Bühne überquerte, sah ich, dass sie unter ihrem langen Rock barfuß war. Ich war völlig bezaubert; die gleiche Wirkung hatte sie auf die Jury, die ihr am Ende des Abends den Titel verlieh.
    Und jetzt stand sie hier in Belgien vor mir. Sie war ein paar Jahre älter und nicht mehr mit Rafael befreundet. Außerdem sah sie noch schöner aus, als ich sie in Erinnerung hatte.Wie sie mir erzählte, wohnte sie bei ihrer Mutter in Brüssel; sie hatte vorübergehend einen Job bei der Public-Relations-Abteilung der Rennstrecke und wollte anschließend nach London gehen, um Englisch zu studieren. Aber ich war so durcheinander, dass ich kaum mitbekam, was sie sagte. Ich musste sie ständig ansehen und konnte kaum atmen. Seit meinen Kindertagen hatte ich mich immer gefragt, wie es sich anfühlen würde, wenn ich die Frau kennen lernte, die ich heiraten wollte. Woher würde ich es wissen? Würde ich einen Donnerschlag hören? Würde vor meinem geistigen Auge ein Feuerwerk explodieren? Jetzt wusste ich es. Nichts davon geschah, sondern ich hörte nur, wie eine feste, leise Stimme in meinem Inneren flüsterte: Veronique.Natürlich …
    Es dauerte noch nicht einmal eine Sekunde. In ihren Augen sah ich meine Zukunft. Und ich glaube, sie sah ihre Zukunft auch in meinen. Wir unterhielten uns eine Zeit lang, dann lud sie mich für Montag in die Wohnung ihrer Familie zum Mittagessen ein. Am nächsten Tag belegte ich im Rennen den zweiten Platz, was geradezu einem Wunder gleichkam: Es regnete heftig, und bei Regen ein Rennen zu fahren, erfordert höchste Konzentration. Als ich den Wagen jedoch in eine Kurve nach der anderen lenkte und auf den Geraden beschleunigte, dachte ich nicht an Gleichgewicht oder Bodenhaftung oder die Suche nach der Ideallinie durch eine Kurve. Ich musste immerzu an Montag denken, wenn ich Veronique wiedersehen würde. Als es endlich so weit war, aß ich mit Veronique und ihrer Mutter in der eleganten Wohnung auf der Brüsseler Avenue Louis zu Mittag. Veroniques Mutter

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