72 Tage in der Hoelle
Uruguay das Leben.
Auch privat erfreut sich Roberto eines ausgefüllten, friedlichen Lebens. Drei Jahre nach unserer Rückkehr aus den Anden heiratete er Laura Surraco, das Mädchen, das er in den Bergen so schmerzlich vermisst hatte. Es war für ihn ein Glücksfall: Sie war vermutlich in ganz Uruguay die einzige Frau, die seiner Halsstarrigkeit etwas entgegenzusetzen hatte und seine Energie bändigen konnte. Die beiden haben zwei Söhne und eine Tochter. Ich bin Pate seines Sohnes Hilario, der heute bei den Old Christians ein herausragender Spieler ist. Roberto hatte stets Anteil an den Angelegenheiten der Mannschaft genommen und ist heute Präsident des Old Christians Club; diesen Posten genießt er, denn er liebt die Mannschaft und ist überzeugt, dass kein anderer sie so gut leiten könnte wie er. Die gleiche Einstellung hat er natürlich auch in allen anderen Dingen, und wenn es nach ihm ginge, würde er am liebsten bei allen wichtigen Themen mitreden, auch in den Fragen der höchsten Politik unseres Landes. Im Jahr 1999 war er mit der Regierung so unzufrieden, dass er eine eigene politische Partei gründete und sich um die Präsidentschaft bewarb. Er führte einen basisdemokratischen Wahlkampf und errang nur einen kleinen Stimmenanteil, aber wie immer verschaffte er sich Gehör. Ich ziehe ihn gnadenlos mit seinem übersteigerten Selbstbewusstsein auf, allerdings würde ich nicht wollen, dass er anders ist.
Ein weiterer besonders guter Freund ist Gustavo Zerbino.Wir sind uns im Laufe der Jahre immer näher gekommen. Er ist ein Mann mit festen Prinzipien und unverblümter Redeweise; wenn er spricht, hat jedes Wort Gewicht. Einen zuverlässigeren Freund als Gustavo kann ich mir nicht vorstellen. In den Anden war er tapfer, klug und gleichmütig, und wenn er sich nicht bei dem ersten, beinahe tödlich verlaufenen Besteigungsversuch völlig verausgabt hätte, wäre er auch in dem späteren Expeditionsteam mit von der Partie gewesen. Schon vor dem Absturz war er ein loyaler, fürsorglicher Verbündeter, der Mannschaftskameraden oder Freunde nie im Stich gelassen hätte. Ich werde nie vergessen, wie er mir in einer besonders harten Rugbypartie zu Hilfe kam, als ein Gegenspieler mich von hinten mit einem regelwidrigen Schlag auf den Kopf außer Gefecht setzen wollte. Der Schlag machte mich benommen. Ich hatte ihn nicht kommen sehen, Gustavo aber hatte alles genau beobachtet. »Das war die Nummer zwölf«, sagte er zu mir, als mein Kopf herumflog. Und dann flüsterte er: »Keine Sorge, der gehört mir.«
Wenige Augenblicke später bildete sich ein »Paket«: Spieler beider Mannschaften verhakten sich ineinander und schoben, um in Ballbesitz zu gelangen. Plötzlich sah ich, wie die Nummer 12 im Gedränge der Körper stolperte und nach hinten umkippte wie ein gefällter Baum. Gustavo stieg über den im Gras liegenden, stöhnenden Spieler hinweg, kam zu mir und nickte mir nüchtern zu. Dabei sagte er nur: »Fertig.«
Gustavo war ein idealistischer, leidenschaftlicher junger Mann und arbeitete früher häufig mit Jesuiten in den Slums von Montevideo. Die gleiche Sorge um das Wohlergehen anderer zeichnet ihn auch heute noch aus, und das macht ihn zu einem guten, großzügigen Freund. Gustavo leitet ein großes Chemieunternehmen, arbeitet in vielen gemeinnützigen Organisationen mit, ist Präsident der Chemikergesellschaft Uruguays und Vizepräsident des Old Christians Rugby Club. Er ist geschieden, hat aus der ersten Ehe vier nette Söhne und wohnt nur wenige Stra ßen von mir entfernt, sodass ich ihn und seine Familie häufig sehe.
Carlitos Paez, ein anderer Lieblingsfreund, ist heute noch genauso respektlos, mitfühlend und liebenswert wie damals in den Bergen. An ihm schätze ich die Kreativität, den unverfrorenen Humor und das liebevolle Verhalten gegenüber meinen Töchtern. Er steht den beiden besonders nahe, und sie fühlen sich von ihm wie von einem Magneten angezogen – und das schon von klein auf. Carlitos hatte in seinem Leben mit einem gerüttelt Maß an Schwierigkeiten zu kämpfen. Seine erste Ehe ging schon nach zwei Jahren in die Brüche, und seitdem ist er Junggeselle. Vor etwa fünfzehn Jahren verfiel er der Alkohol- und Drogensucht, und uns allen war klar, dass wir etwas unternehmen mussten. Eines Nachmittags gingen Gustavo und ich zu Carlitos. Wir erklärten ihm, wir würden ihn jetzt in eine Rehabilitationsklinik bringen, und dort müsse er so lange bleiben, bis er wieder völlig gesund sei. Dies
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