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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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Erfrierungen schwarz waren, und wischte ihr das Blut aus den Augen. Susy war immerhin so weit bei Verstand, dass sie sich bei ihm für seine Fürsorge bedankte.
    Während die Ärzte ihre Runde machten, hatten Marcelo und Roy Harley die in der Nacht zuvor erbaute Mauer teilweise wieder eingerissen. Für die Überlebenden begann der zweite Tag im Gebirge. Den ganzen Tag über suchten sie am Himmel nach Anzeichen der Rettungsmannschaft. Am späten Nachmittag hörten sie ein Flugzeug vorüberfliegen, aber der Himmel war bewölkt, und sie wussten, dass man sie nicht gesehen hatte. In dem schwindenden Tageslicht sammelten sich die Überlebenden im Rumpf und machten sich auf eine weitere lange Nacht gefasst. Marcelo hatte jetzt mehr Zeit gehabt und eine bessere, winddichtere Wand errichtet. Man hatte die letzten Leichen aus dem Rumpf geholt, und da auch einige andere verstorben waren, bot der Fußboden nun mehr Platz zum Schlafen; dennoch zog die Nacht sich hin, und sie litten entsetzlich.
    Am Nachmittag des dritten Tages erwachte ich endlich aus dem Koma, und als mein Verstand wieder zu arbeiten begann, erschrak ich bei dem Gedanken, welche Schrecken meine Freunde schon durchlebt hatten. Die Erlebnisse, die bereits hinter ihnen lagen, hatten sie um Jahre altern lassen. Ihre Gesichter waren von der Anspannung und dem Schlafmangel müde und blass. Körperliche Erschöpfung und die kräftezehrende dünne Luft machten ihre Bewegungen langsam und unsicher. Viele stolperten und schlurften wie alte Männer auf der Unglücksstelle herum. Wir waren jetzt noch 29 Überlebende, die meisten zwischen neunzehn und einundzwanzig, manche waren aber auch erst siebzehn. Als Ältester war der 38-jährige Javier Methol noch am Leben, aber er litt so stark an schwerer Höhenkrankheit mit Übelkeit und Müdigkeit, dass er kaum stehen konnte. Beide Piloten und der Steward waren tot. Als einziges Besatzungsmitglied lebte der Flugingenieur Carlos Roque noch, aber der Absturz hatte bei ihm einen derart schweren Schock verursacht, dass wir von ihm nur sinnloses Gerede zu hören bekamen. Er konnte uns nicht einmal sagen, wo Notfallausrüstungen wie Leuchtpistolen oder Decken aufbewahrt wurden. Niemand konnte uns helfen, niemand hatte auch nur die geringste Ahnung vom Gebirge, von Flugzeugen oder Überlebenstechniken. Wir befanden uns ständig am Rand der Hysterie, aber in Panik gerieten wir nicht. Führungsgestalten kristallisierten sich heraus, und wir handelten so, wie wir es bei den Christian Brothers gelernt hatten: als Team.
    Das Verdienst, uns an diesen entscheidenden ersten Tagen das Überleben gesichert zu haben, gebührt zum größten Teil Marcelo Perez, der mit seiner entschlossenen Führung vielen von uns das Leben rettete. Er reagierte schneller als alle anderen auf die beängstigende Herausforderung und legte dabei die gleiche Kombination aus Mut, Entschlossenheit und Weitsicht an den Tag, die uns auch auf dem Rugbyfeld so viele Siege gesichert hatte. Er begriff sofort, dass man sich hier kaum Fehler erlauben durfte und dass der Berg mit Vergnügen seinen Tribut für Dummheiten fordern würde. In einem Rugbymatch können Zögern, Unentschlossenheit und Verwirrung den Sieg kosten. Hier in den Anden, das erkannte Marcelo sofort, würden wir für die gleichen Fehler mit dem Leben bezahlen. Mit seiner starken Ausstrahlung verhinderte er in den ersten Stunden nach dem Absturz, dass eine völlige Panik ausbrach. Mit der Rettungsaktion, die er sofort organisierte, rettete er vielen das Leben, die unter den verhakten Sitzen hervorgezogen wurden, und wenn er in jener ersten Nacht nicht die schützende Mauer gebaut hätte, wären wir bis zum nächsten Morgen alle erfroren.
    In seiner Führungsrolle wurde Marcelo zum Helden. Nachts schlief er im kältesten Teil des Rumpfes, und die unverletzten Jungen forderte er jedes Mal auf, es ihm gleichzutun. Er zwang uns, etwas zu tun, wenn viele sich einfach nur in den Rumpf legen und auf die Rettungskräfte warten wollten.Vor allem aber verbreitete er Zuversicht. Er war sicher, dass Rettungsmannschaften unterwegs waren, und konnte auch andere von dieser Ansicht überzeugen. Dennoch war ihm sehr wohl klar, dass wir bis an unsere Grenzen gehen mussten, wenn wir hier in den Anden auch nur wenige Tage überleben wollten, und er machte es sich zur Aufgabe, alles zu tun, um unsere Chancen für diese Zeit so weit wie möglich zu verbessern. Als einer seiner ersten Maßnahmen sammelten wir alle essbaren Dinge ein,

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