760 Minuten Angst
zu revanchieren. Was er seiner Meinung nach auch passabel meisterte.
Doch jetzt hatte er versagt.
Seine Mutter war von einem Verrückten entführt worden und wenn Ben nicht tat, was »C« von ihm verlangte, würde er ihr womöglich etwas Schlimmes antun. Wenn nicht sogar … Ben wollte gar nicht daran denken.
Wie hatte »C« so »schön« gesagt?
Ihr seid vielleicht nicht die einzige Person dieser Schnitzeljagd, doch ändert es nichts an der Tatsache, dass ihr alleine seid.
»C« hatte also noch weitere Personen in sein verrücktes Spiel miteingebunden. Ben war, nachdem er den Satz zum ersten Mal hörte, bereits der Gedanke gekommen, sich auf die Suche nach den anderen zu begeben, doch wie hätte er das anstellen sollen? Außerdem, hätte »C« ihnen wirklich diesen Hinweis gegeben, wenn es eine Chance auf Rettung bedeutete? Wohl kaum.
So sehr Ben »C« auch verabscheute, bewunderte er doch die Genialität dieses Mannes. Wenn es mehrere Spieler gab, dann musste sich »C« um so viele Dinge gleichzeitig kümmern, dass Ben beim besten Willen nicht nachvollziehen konnte, wie er das zustande brachte.
Toll. Ich hör mich schon an wie ein Groupie.
Ben musste über sich selbst lachen und das in der jetzigen Situation. Aber war es verwunderlich? Langsam wirkte alles so surreal und bizarr, dass er sich selbst in diesem Spiel nicht mehr wiedererkannte. Vielleicht war Lachen daher genau die richtige Medizin.
Sag mal, spinnst du?! Ich schwebe gerade in Lebensgefahr und du hast nichts Besseres zu tun, als dich totzulachen?!
Die Stimme seiner Mama prallte wie ein plötzlicher Sommerschauer auf ihn ein und brachte ihn zurück zur Vernunft. Sie hatte schließlich Recht. Was dachte er sich nur dabei? Er musste sie schließlich retten!
Aber wie?
Soll ich wirklich alles machen, was »C« von mir verlangt? Soll ich zu einer seiner Spielfiguren werden? Kann ich meine Mama dadurch retten? Kann ich »C« vertrauen?
Diese und weitere Fragen stellte er sich immer wieder selbst, ohne passende Antworten zu finden. Wie sollte er auch? So eine Situation war schließlich keine Alltäglichkeit.
Er konnte nicht einfach ins Internet gehen, eine der Fragen in eine Suchmaschine eingeben und auf Enter drücken, woraufhin die Antwort in Sekundenschnelle auf dem Bildschirm erschien. Ben musste allein die Antworten finden. Und zwar vollkommen allein.
Oder ich ergebe mich einfach seinem Willen.
Der Gedanke kam so schnell, dass Ben ihn fast selbst nicht wahrnahm. Doch es stimmte. Es wäre die einfachste Lösung. Vielleicht sogar die Einzige.
Ein schriller Ton durchbrach die Stille.
Da Ben dem Karton bereits eine Weile keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt hatte, brauchte er ein paar Sekunden, bis sein Verstand begriff, dass er vermutlich die besagte Nachricht von »C« erhalten hatte.
Es war an der Zeit, voranzuschreiten. Die Schnitzeljagd ging weiter, ob er nun wollte oder nicht. Wie »C« schon sagte …
Ich bin der Spielleiter und egal was ich sage oder verlange, es ist Gesetz und muss eingehalten werden.
Wer bin ich schon, dass ich mich gegen ihn stelle? Ich meine, ich bin doch bloß Benni.
Es war klar, was er jetzt zu tun hatte. Eigentlich war es die ganze Zeit über klar gewesen. Doch erst jetzt konnte sich Ben damit abfinden, dass er nicht mehr Herr über sich selbst und sein Leben war, sondern ganz und gar »C« gehörte.
Warum also warten?
Ben rutschte auf dem Sofa zurück zur Vorderkante und berührte mit den Füßen den alten Teppichboden. Dann griff er sich den Karton und zog ihn zu sich. Das rote Handy lag vergessen am Boden. Auf dem Display wurde angezeigt, dass er eine Textnachricht erhalten hatte.
Es wurde Zeit.
Er streckte den Arm aus und wollte gerade das Mobiltelefon an sich nehmen, als Ben inmitten der Bewegung stoppte. Die letzten Worte von »C« drangen aus seinem Gedächtnis zurück an die Oberfläche.
Ich werde euch nun euren ersten Ort per SMS mitteilen. Doch bevor das geschieht, werdet ihr sämtliche und ich betone es gerne noch einmal, sämtliche persönlichen Gegenstände von euch in dieser Schachtel verwahren.
Aber natürlich. Das habe ich ja ganz vergessen. »C« wollte schließlich, dass ich alles ablege, was mir gehört. Doch habe ich überhaupt etwas bei mir?
Ben tastete seinen Körper ab. In der rechten Gesäßtasche fand er seine Geldbörse und in seiner linken Hosentasche den Schlüsselbund. Mehr hatte er nicht. Schmuck hatte Ben nie besessen und auch ein Handy hatte ihn nie interessiert.
Egal.
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