760 Minuten Angst
Eierkuchen. Denn das war es nicht!
Auch wenn sich die Welt weiterdrehte und alles in ihren normalen Bahnen verlief, so hatte ihre Welt eindeutig die falsche Abzweigung genommen und war daraufhin in den Abgrund gestürzt. Sie fühlte sich allein … und verloren.
Nur war sie nicht allein.
Nein, das bin ich nicht. Denn da ist immer noch Katie. Doch wo ist sie bloß?
Das Handy lag in ihrer ausgestreckten Hand. Stella musste es unbewusst hervorgekramt haben. Es starrte sie unentwegt an wie ein gelbes Monster, das sie verschlingen wollte. Das fremde Handy würde ihr nicht helfen. Es lachte sie stumm aus. Immer wieder aufs Neue.
Sie unterdrückte den inneren Impuls, das Mobiltelefon auf den gepflasterten Weg zu werfen. Sie wollte es loswerden und doch wusste sie genau, dass es nicht möglich war. »C« würde sie hundertprozentig dafür bestrafen.
Doch was sollte sie jetzt machen?
Es war gut möglich, dass Katie sich bereits gemeldet hatte. Wie viele Anrufe in Abwesenheit waren wohl auf ihrem Handy? Hatte Katie ihre Omi vielleicht schon gefunden und alles war in Ordnung und sie machte sich ganz umsonst so große Sorgen?
Nein.
Natürlich war es nicht so!
Was mache ich mir eigentlich vor? Ich weiß ganz genau, dass es meiner Omi nicht gut geht und ich weiß auch ganz genau, warum das so ist. »C« hat sie und solange ich sein Spiel nicht gewonnen habe, werde ich sie auch nicht wiedersehen. Ich muss aufhören, mir Illusionen zu machen.
Auch wenn sich die Realität wie ein Alptraum anfühlte. Alles wirkte falsch, fast so, als würde sie träumen. Eine nächtliche Täuschung. Sie musste nur aufwachen. Einfach aufwachen.
Ja, einfach nur aufwachen …
Katie!
Der Name kehrte in ihre Gedanken zurück, drang in ihren Tagtraum ein und zerstörte ihn. Wie konnte Stella sich nur so gehen lassen? Wie konnte sie nur hier stehen und sich die Füße massieren, während mit ihrer Freundin weiß Gott was passierte? War sie verrückt geworden?!
Okay, okay … ganz ruhig.
Stella befand sich gerade auf der Gesandtenstraße an der Kreuzung Glockengasse. Sie war ihrem Instinkt gefolgt und sofort Richtung Wohnung gerannt. Hieß es nicht immer, dass Frauen einen sechsten Sinn für solche Dinge hätten? Sollte sie dann nicht darauf vertrauen, das Richtige zu tun?
Als ob ich eine Wahl habe. Katie kann mich nicht erreichen und ich kann Katie nicht erreichen, weil ich ihre Handynummer nicht auswendig weiß. Natürlich kann sie noch immer in der Bäckerei sein, aber ist das wahrscheinlich? Eher nicht. Von daher bleibt ja nur meine Wohnung übrig. Katie muss einfach dort sein!
Es gab keine Zweifel und keine weiteren Gedanken mehr. Es gab nur noch das Handeln.
Der Hochhakige umschloss erneut ihren malträtierten Fuß. Auch wenn Stella keine Zeit mehr verlieren durfte, war Laufen unmöglich. Katie würde es verstehen.
Eine knappe Viertelstunde später erreichte Stella die Rote-Löwen-Straße, wo sich ihre Wohnung befand. Niemals hätte sie gedacht, so lange zu brauchen. Normalerweise benötigte sie von der Schwarzer Bäckerei zu ihrer Wohnung nicht länger als zehn Minuten, doch obwohl sich Stella beeilte, hatten ihre Füße sie nicht schneller getragen.
Jeder Schritt war purer Schmerz gewesen, der sich jede Minute um ein Vielfaches steigerte. Doch nun stand sie kurz vor ihrem Ziel. Jede Qual schien vergessen. Katie wartete bereits, das wusste Stella ganz genau. Woher auch immer.
Sie wohnte zusammen mit ihrer Omi in einem Mehrfamilienhaus inmitten der Altstadt. Der Altbau war vor einigen Jahren innen komplett restauriert worden und kein Vergleich mehr zu der maroden Fassade. Es sah zwar von außen nach nichts aus, aber Stella liebte es hier, zu wohnen und freute sich aufs Nachhausekommen. Nur nicht heute.
Die rustikale, dunkelbraune Holztür war angelehnt und lud zum Eintritt ein. Doch Stella weigerte sich. Obwohl sie die gesamte Laufzeit über nur an Katie und ihre Omi dachte, war sie gerade außerstande, sich dem Ungewissen entgegenzustellen.
Sie konnte die Gefahr regelrecht riechen. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken und ließ sie erschaudern. Gänsehaut bildete sich und verschwand erst nach mehreren Sekunden. Stella kamen sie wie Stunden vor. Ihr Herz raste, ihr Verstand überschlug sich. Doch Gedanken konnte sie keine mehr fassen.
Es war mehr wie ein Film, der vor ihrem geistigen Auge ablief. Dabei bestand er nicht aus zusammenhängenden Bildern, die eine Geschichte erzählten, sondern aus vielen
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