760 Minuten Angst
hältst.«
Der Spielleiter wirkte erbost, aber seine Stimme blieb dennoch ruhig, fast so, als hätte er mit solchen Unstimmigkeiten gerechnet. Ben war hingegen ein Häufchen Elend, das sich nur stotternd und weinerlich artikulieren konnte.
»Ich … ich wollte nicht …«
»Es ist mir egal, was du wolltest, Benjamin. Ich habe dir eine klare Aufgabe erteilt und darin stand nicht, dass du dich zum Bahnsteig begeben sollst. Ist dir das Leben deiner Mutter so wenig wert.«
»Bitte … sie dürfen nicht … ich meine … meine Mutter …«
»… hat nichts damit zu tun?«, beendete »C« Bens angefangene Satzfetzen. »Und ob sie etwas damit zu tun hat, Benjamin. Sie ist der ausschlaggebende Punkt. Sie allein soll dich vorantreiben.«
»Aber … aber darum … darum geht es doch nicht …«
»Doch, Benjamin, genau darum geht es. Deine Mutter ist das Ziel und die Schnitzeljagd der Weg dorthin. Jede Prüfung hat einen Sinn und erst am Ende wirst du das große Ganze erkennen. Doch nicht, wenn du jetzt aufgibst.«
»Aber … aber ich kann nicht.«
»Und ob du kannst, Benjamin.«
»Nein … ich … ich hab schließlich … getötet.«
Schweigen.
Zum ersten Mal während des Gesprächs hatte »C« keine passende Antwort parat. Ben war fast so, ihn schlucken zu hören. Hatte er den Spielleiter tatsächlich aus dem Konzept gebracht?
»Und wen kümmert das, Benjamin?« Mehr hatte »C« zu diesem Thema nicht zu sagen. »Ich bin der Spielleiter und ich sage, wo es langgeht und niemand sonst. Und wenn du hundert Menschen auf dem Gewissen hast, du wirst die Schnitzeljagd beenden. Verstanden?«
»Nein … nein ich … ich kann … nicht …«
»Dann wird deine Mutter sterben. Ist es das, was du willst?«
Es war die bittere Wahrheit. Ben hatte sich ihr schon mehrere Male an diesem Tag gestellt und doch war es noch einmal etwas ganz anderes, das Ultimatum aus »Cs« Mund zu hören.
»Ja …«, antwortete Ben gebrochen.
»Dann ist das deine Entscheidung, Benjamin? Du unterbrichst also mein Spiel und tötest dadurch deine Mutter? Ist das deine endgültige Antwort?«
Schweigen.
Abermals kehrte diese bedrückende Stille zurück und mit ihr das ungute Gefühl, in einer Parallelwelt des Wahns gelandet zu sein. Das alles konnte nicht wahr sein. Es musste ein Traum sein, nicht sein reales Leben.
Oder?
»Ich warte, Benjamin. Wie wirst du dich entscheiden.«
Ben wusste, dass ihm nur noch Sekunden blieben und obwohl ihm Tränen in Strömen über die Wangen liefen und er nur noch an seine geliebte Mama denken konnte, sagte er die letzten Worte, die er je sprechen würde.
»Ja … ja ich werde das Spiel beenden … »C« … ich … ich gebe … auf.«
Ein letztes Mal Schweigen.
Dann sprach »C« sein Urteil.
»Das tut mir leid, Benjamin … wirklich leid. Nicht nur für deine Mutter … sondern auch für dich. Leb wohl, Benjamin.«
Eine Sekunde später hörte Ben den monotonen Laut der abgebrochenen Verbindung. Doch nicht lange, denn nach nur drei Sekunden folgte ein »Klick«.
Dann wurde alles schwarz.
Abrupt bremste er den Wagen und parkte auf der rechten Straßenseite. Obwohl Jake wusste, dass er hier nicht stehen durfte und das Auto zudem viel zu weit in die Fahrbahn ragte, kümmerten ihn diese Tatsachen herzlich wenig. Für Jake waren dies mittlerweile Lappalien.
Er stellte den Motor ab, ließ den Schlüssel stecken und verließ geradewegs den Wagen zur gegenüberliegenden Straßenseite, wo sein Ziel wartete.
Nie hätte sich Jake träumen lassen, dass »Cs« zweites Rätsel so einfach zu lösen wäre. Nachdem er das Amtsgericht hinter sich gelassen hatte, war er auf der Liskircherstraße gelandet, die »Cs« »Kirche« darstellte. Dort hatte er nur noch nach dem »Zeichen« Ausschau halten müssen, dass er soeben entdeckt hatte.
Jake ging auf das prunkvolle Haus zu. Es besaß drei Stockwerke, eine weiße Fassade, blaulasierte Fensterläden und wirkte jünger, als es vermutlich war. Der Altbau besaß eine große, weißlackierte Haustür, auf der in roter Farbe ein großes C gepinselt war. Es war mehr als offensichtlich, dass es sich dabei um den Ort der zweiten Prüfung handelte. In diesem Haus würde er auf »C« treffen. Endlich!
Ich kann es kaum noch erwarten, »C«. Wenn ich dich erst mal zwischen meine Finger bekomme, dann … dann … ich will es mir gar nicht vorstellen.
Die Wut in Jakes Innerem wuchs stetig und kaum hatte er die Haustür erreicht, war sie bereits so groß, dass er das Holz am liebsten
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