760 Minuten Angst
ihrerselbst zurück. Dennoch hörten ihre Hände nicht auf, immer weiter Wasser auf ihr Gesicht zu schleudern. Sie wussten einfach keinen Ausweg aus dieser Teufelsspirale.
Doch wie lange werde ich das noch durchhalten? Wann wird der Schmerz mich brechen? Wann werde ich das Bewusstsein verlieren und sterben? Es gibt keine Rettung. Niemand kann mir helfen. Ich werde sterben.
Und während sich Stella ihren Gedanken, Schmerzen und dem kühlen Nass hingab, schlich sich auf leisen Sohlen ein Schatten an sie heran. Kaum stand er wenige Zentimeter hinter ihr, legte dieser seinen linken Arm um ihren Hals, nur um gleich darauf mit der rechten Hand eine Nadel in diesen zu rammen. Kaum hatte er das Mittel in sie hineingepumpt, wurde Stella schwarz vor Augen und sie brach zusammen.
Schöne Träume … liebe Stella.
Es werden deine letzten sein.
Alles kam ihm wie ein böser Traum vor.
Was vor wenigen Minuten noch grausame Realität war, hatte sich nun in eine bizarre Parallelwelt verwandelt, die er nur als Traum betiteln konnte. Ein Alptraum fürwahr, aber dennoch nur ein Traum. Denn so grausam konnte die Wirklichkeit gar nicht sein.
Oder?
Nachdem Jake die Nachricht auf der Postkarte gelesen hatte, hatten sich seine Beine verabschiedet, wodurch er unweigerlich auf die Knie fiel. Dann war alles still um ihn geworden. Nichts ergab mehr einen Sinn. Alles hatte an Bedeutung verloren. Er wollte nur noch aus diesem Alptraum erwachen.
Er wollte leben, ein ganz normales Leben führen, so wie die letzten Jahre. Er wollte seinem Job nachgehen, der ihn zwar manchmal zur Weißglut brachte, aber immer noch Spaß bereitete. Er wollte die Feierabende und Wochenenden mit seiner Familie verbringen und Mira die Welt zeigen, bis sie alt genug war, allein in ihr zu bestehen.
Doch nun, an diesem Punkt seines Lebens, wusste Jake nicht mehr, ob es überhaupt möglich war. Denn was er hier und jetzt erlebte, konnte niemand überstehen. Wenn es die Hölle wirklich gab, dann hatte Jake keine Angst mehr davor, denn nichts konnte schlimmer sein als dieser Moment.
Nicht einmal der Tod selbst.
Erst jetzt wagte es Leila, sich zu ihrem Mann hinab zu knien und in die Arme zu schließen. Sie verstand zwar nicht, was das alles sollte und was mit ihrem Mann vor sich ging, aber sie wusste, dass sie jetzt für ihn da sein musste. Allein würden sie hier nicht herauskommen.
Es dauerte nur Sekunden, bis auch Mira angelaufen kam und sich zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater verkroch. Unbewusst hatten die beiden eine kleine Höhle zwischen sich geschaffen, die nun Mira ausfüllte. Vielleicht gab sie ihrer Kleinen tatsächlich ein wenig Halt.
»Schatz … geht es dir gut?«, durchbrach Leila die Stille und speiste sie mit einer Floskel, die unmöglich ernst gemeint sein konnte.
Nur viel ihr ihm Moment nichts Besseres ein, was sie hätte sagen sollen. Sie wollte nur ihren Mann zurückhaben. Denn seine Augen verrieten eindeutig, dass er gerade ganz weit weg war. Wo auch immer.
Leila drückte ihren Mann näher an sich, dabei erdrückte sie fast ihre Tochter, doch im Moment genoss Mira dieses feste Gefühl der Verbundenheit viel zu sehr, um es als schmerzhaft anzusehen. Beide ließen ihrer Trauer freien Lauf und vielleicht waren es ihre Tränen, die Jake zurück in die Realität brachten. Denn soeben kehrte das Leben in seine Augen zurück.
»Leila … Mira …«, mehr als ihre Namen konnte er im Moment nicht aussprechen und seine Frau begriff, dass es nur eine Möglichkeit gab, den Schmerz ihres Mannes nachzuvollziehen.
Sie musste sich ihm ebenfalls stellen!
Und so suchten ihre verweinten Augen nach der fallengelassenen Postkarte, die nicht einmal einen Schritt von ihr entfernt auf dem Boden lag. Leila zögerte keinen Augenblick. Sie nahm die Nachricht an sich und überflog die Zeilen wie kurz zuvor ihr Mann.
Lieber Jakob,
Willkommen zu deiner zweiten Prüfung.
Weil dir die erste scheinbar zu schwer war, möchte ich dir diese so leicht wie möglich machen. Deine Aufgabe lautet wie folgt: Du wirst einen Teil deiner Familie töten. Welchen, bleibt dir überlassen. Die Spritze muss nur in die Vene gelangen. Mehr nicht.
Viel Glück, »C«
Dann stockte auch ihr der Atem.
Zu spät registrierte Jake, was seine Frau vorhatte und schlug ihr die teuflische Postkarte aus der Hand, als könnte er damit alle Probleme aus der Welt schaffen. Am Ende erkannte er zwar, dass seine Handlung zu spät kam, aber er konnte sich trotzdem nicht eingestehen, seine
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