760 Minuten Angst
Familie diesem Schmerz ausgesetzt zu haben. Was für ein schrecklicher Vater war er eigentlich?
»Schatz … nicht …«
Die Worte waren ein Flehen, nicht an seine Frau, mehr an Gott, oder was auch immer diese Hölle hätte verhindern können. Jake war kein religiöser Mensch, doch gerade wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass es so etwas wie Engel wirklich gab, die ihnen zu Hilfe eilen würden.
Wie bescheuert dieser Gedanke war … und doch voller unerfüllbarer Hoffnung.
Leila schluckte und obwohl noch immer Tränen über ihre schmalen Wangen liefen, schien sie sich gefangen zu haben. Zumindest klang ihre Stimme fester als die von ihrem Mann. Dieser war noch immer unfähig, etwas zur Nachricht zu sagen, die sie beide in ihren dunklen Fäden hielt.
»Dann ist alles wahr? Dieses ganze Gerede von einer Schnitzeljagd und Aufgaben, die du zu bewältigen hast? Alles ist wahr?«
Jake nickte. Dann weinte auch er. Er konnte nicht eine Träne verdrängen. Dafür war sein Körper, vor allem aber seine Seele, viel zu geschwächt. Was hätte er auf diese Frage schon antworten sollen?
»Ich verstehe das nicht, Jake. Warum wir? Warum diese Aufgaben? Was soll das? Ich meine, das kann doch nicht sein Ernst sein?«
Und doch war es so.
»Cs« Schnitzeljagd war real und seine drei Aufgaben kamen direkt aus der Hölle. Nur warum dieser all das verlangte, wusste Jake selbst nicht. Vielleicht wollte er es auch gar nicht mehr wissen.
»Es … es tut mir leid.«
Noch nie in seinem Leben hatte Jake diese Worte so ernst gemeint wie in diesem Moment. Für manche Menschen mochten sie nur eine Floskel sein, aber jetzt gerade waren sie das Aufrichtigste, was Jake je in seinem Leben ausgesprochen hatte. Sein Herz blutete.
»Es ist doch nicht deine Schuld«, erwiderte Leila, nur konnte Jake diesen Satz nicht hinnehmen.
»Nein, Schatz. Ich bin schuld. Ich weiß zwar nicht, warum, aber es muss an mir liegen. Warum sonst bin ich der Auslöser der Schnitzeljagd. Warum sonst sind es meine Aufgaben?!«
»Jake …«, flüsterte Leila und nahm dabei den Kopf ihres Mannes fest zwischen ihre Hände. Sie starrte lange in seine grünbraunen Augen, bis sie weitersprach. »Es ist egal. Was auch immer der Grund dafür ist, es ist egal. Wir stehen das gemeinsam durch … verstanden?«
»Aber …«
Doch Leila schüttelte den Kopf. Sie ließ keine Widerworte zu. Jake hätte sie in diesem Moment zu gerne geküsst und ihr gesagt, wie sehr er sie liebte, aber er kam nicht dazu, weil er sich meldete.
»Ich gab euch fünf Minuten, meine Lieben. Man mag es vielleicht nicht glauben, aber sie sind längst vergangen und ich sehe immer noch drei lebende Menschen am Boden kriechen.«
»Sei still!«, brüllte Jake zur Decke gewandt, als würde er Gott höchstpersönlich ansprechen. »Sei endlich still!«
»Wie immer«, sagte »C« gelangweilt. »Wirklich, Jakob, langsam verlieren diese Ausbrüche an Substanz. Also, lassen wir das.
Ich schrieb euch, dass ihr für eure Entscheidung fünf Minuten habt. Diese Zeit habt ihr weit überschritten und daher meine letzte Warnung. Solltest du jetzt nicht gleich eine deiner Frauen töten, Jakob, dann werde ich euch alle töten.
Einen nach dem anderen. Und du, Jakob, wirst der letzte sein. Na, willst du ihnen zusehen, wie sie grausam von mir hingerichtet werden? Ich werde nämlich nicht so gnädig wie die Spritze sein.
Na, Jakob, willst du das?«
»Nein«, antwortete er schwach.
Wieder einmal hatte er gegen »C« verloren. Aber er konnte doch nicht …
»Sehr schön. Ich erwarte deine Entscheidung. Gleich!«
Das Rauschen kündete »Cs« Abgang an und das bedeutete zeitgleich, dass Jake eine seiner geliebten Frauen umbringen musste. Er konnte noch immer nicht fassen, was »C« von ihm verlangte. Kein Mensch war dazu imstande. Niemand war fähig, eine solche Gräueltat zu verstehen, geschweige denn zu begehen. Das war einfach nicht möglich.
»Nimm mich.«
Die Worte kamen so plötzlich, dass Jake sie zuerst nicht verstand. Erst Sekunden später baute sich eine Bedeutung auf. Er konnte nicht fassen, was er da hörte.
»Wie bitte?!«
»Nimm mich, Jake. Es gibt keinen anderen Weg.«
»Nein!«, brüllte er. »Du spinnst doch! Ich werde nicht … ich kann dich nicht …«
»Und was willst du dann tun?!«
Nun schrie Leila. Jake konnte nicht fassen, wie viel Wut und Angst zugleich in ihrem Gesicht steckte. Sie nahm diese Situation genauso mit wie ihn und doch hatte er nicht einen Gedanken daran verschwendet.
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