77 Tage
wie vorher.«
Danner nickte nachdenklich: »Wenn sie sich das nicht sogar von Anfang an so ausgedacht hat.«
»Ihr könnt einpacken. Ihr habt nicht mal eine ermordete Stubenfliege«, feixte Kriminalkommissar Lennart Staschek eine halbe Stunde später beim Bier in Molles Kneipe.
Nicht ohne Schadenfreude, denn dass sein alter Kumpel und Exkollege Danner nichts herausfand, kam nicht häufig vor.
»Keine Leiche, kein Motiv, keine Beweise. Dafür könnte eine ansteckende Form von Hodenkrebs als Todesursache infrage kommen. Das wäre ein Fall für die Mediziner, aber nicht für die Polizei.« Der Kommissar setzte sein Bierglas an die Lippen, hielt dann aber noch einmal inne, statt zu trinken. »Eure einzige Chance, einigermaßen gut aus dem Fall rauszukommen, wäre, dass euer nicht existenter Mörder einen Fehler macht. Wenn er ein netter Kerl ist, legt er euch heute noch eine Leiche hin. Ich meine eine echte, mit einem Messer im Rücken oder einer Zyankalispritze im Arm.«
Danner sah aus, als wollte er demnächst einen Polizisten zur Leiche machen.
»Ansonsten werdet ihr eurer Auftraggeberin morgen erklären müssen, dass in ihrem Pflegebereich zwar tatsächlich auffallend viele Männer versterben, ihr aber keine Ahnung habt, woran es liegt. Und dass sie euch natürlich trotzdem ein paar Tausend Euro Honorar überweisen soll. Sie wird sicher begeistert sein.« Staschek nahm endlich einen Schluck. »Den Auftrag überhaupt anzunehmen, war schon bescheuert«, lästerte er weiter, sobald er das Bierglas wieder abgesetzt hatte. »Hätt ich euch vorher sagen können.«
Tja, Danner hatte die Sackgasse, in der wir steckten, womöglich ebenfalls vorhergesehen.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Obwohl Danner wie immer keine Miene verzog, konnte ich Ärger in seinen steingrauen Augen funkeln sehen. Einen Fall aufzugeben, kratzte mächtig an seiner Detektivehre. Kein Auftraggeber zahlte ewig weiter, wenn die Ermittlungen keine Ergebnisse lieferten. Elsbeth van Pels, der kein Ergebnis das Liebste wäre, schon gar nicht.
Ich nippte an meinem Tee.
Meine Fantasie hatte zwar einige Ideen produziert, wer warum Patienten beseitigen könnte, aber nicht einen einzigen stichhaltigen Anhaltspunkt.
Agi Friedlich hatte zwar auffällig viel Mitleid, aber keinen Grund, speziell Männern ihr Sterben zu erleichtern. Ingo Kuchenbecker wurde wegen seiner Sexualität diskriminiert, doch gab es keine Anzeichen dafür, dass er die Intoleranten beseitigte. Gülcan Aydin, die Agi den Platz als meine Lieblingsverdächtige streitig gemacht hatte, war definitiv nicht gut auf das andere Geschlecht zu sprechen. Doch ihr wegen ihrer politischen Ansichten eine Mordserie anzudichten, war mehr als gewagt.
Und dann war da noch … Bella. Eine neue Idee leuchtete plötzlich auf wie ein verirrtes Glühwürmchen. Gülcan kannte Bellas Identität, da war ich mir ziemlich sicher. Wenn die Türkin Bellas Blog nicht selbst schrieb, war es durchaus denkbar, dass Bella zum Pflegeteam gehörte. Und ich sie bereits kennengelernt hatte.
Bella ließ mich in ihr Leben schauen wie durch eine Fensterscheibe. Ich hatte das Gefühl, sie zu kennen, trotzdem konnte ich keine der Pflegerinnen als Bella identifizieren. Doch wenn die fremde Bella tatsächlich in unserem Pflegeteam arbeitete, hatte auch sie Schwierigkeiten mit Männern. Ihr Angetrauter war ein evolutionsresistenter Primat, der auf Neandertaler-Niveau kommunizierte: die Frau anschreien, damit sie pariert.
Irgendwann würde Bella ausrasten und den Kerl abservieren. Oder war sie bereits ausgerastet …?
War es möglich, dass eine Frau, die zu Hause von ihrem Mann terrorisiert wurde, aus Frust darüber andere, hilflose Männer um die Ecke brachte?
Irgendwie musste ich herausbekommen, wer sich im echten Leben hinter Bella versteckte. Ihren eigenen Beschreibungen nach war Bella mollig, mit einem Hintern, den man nicht übersehen konnte. Blond mit Brille … trug sie eigentlich eine Brille? Und sie war extrem schüchtern, ungefragt brachte sie kaum ein Wort heraus – und wenn doch, lief sie rot an und stotterte.
In Gedanken versunken hielt ich meine mit beiden Händen umschlossene Teetasse unter mein Gesicht und genoss den heißen, duftenden Dampf, der gegen meine Wangen schlug.
Extrem schüchtern waren nur zwei im Team: Mona Rud-szinski und die neunzehnjährige Leiharbeiterin Piroschka Weber.
Piroschka Weber schloss ich gleich wieder aus. Um derart glaubhaft über eine zehnjährige Beziehung mit einem Mann
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