77 Tage
gemeinsam auf die tote Giftspritze gestoßen waren, hellte sich ihr Gesicht jedes Mal auf, wenn sie mich sah. So ein Leichenfund verbindet. Sie würde sich bestimmt ein wenig aushorchen lassen.
Entschlossen schnappte ich mir den klappernden Pflegekoffer der Schwerhörigen und trabte hinter ihr her.
»Ich blogge jetzt auch«, erklärte ich ihr unumwunden, während wir uns auf den Weg zu Pippi Langstrumpf mit der multiplen Sklerose machten. Hedis Tour kannte ich auswendig. Es war unser letzter Besuch bei der rothaarigen Frau Schröder, ihr letzter Tag in der eigenen Wohnung. Morgen würde die junge Frau ins Behindertenwohnheim ziehen.
» Was machst du?«, fragte Hedi nach.
»Bloggen. Ich schreibe im Internet.«
»Ach.«
»Wie Janine und Mona und Gülcan.«
Hedi grinste: »Scheint ja groß in Mode zu sein.«
»Mona schreibt Liebesgedichte.«
»Und so einen Schmalz willst du jetzt auch von dir geben?« Hedi schüttelte belustigt den Kopf.
Kannte Hedi Mo’s loveblog?
»Ist Mona eigentlich verheiratet? Oder hat sie einen Freund?«, bohrte ich weiter, wo wir schon beim Thema waren.
»Mona?« Hedi rückte ihr Hörgerät zurecht, als glaubte sie, es würde nicht richtig funktionieren. »Mona hat eine Freundin«, verriet sie mir dann.
Ich sah Hedi verblüfft an. Nicht so sehr wegen der Vorstellung, Mona Rudszinski könnte lesbisch sein. Auch wenn sie damit dummerweise nicht mehr als Alter Ego für Tussen-Bella infrage käme. Aber ich staunte, dass ausgerechnet Hedi Sundermann mit ihrer altbackenen Zwanziger-Jahre-Spießer-Frisur über Monas Homosexualität Bescheid wusste. Andererseits – in meiner Erinnerung tauchten Agi, Hedi, Mona und Piroschka mit Weingläsern auf. Mit Rotweinkelchen in den Händen und beschallt von Ingo Kuchenbeckers dahingehauchter Hintergrundmusik.
Tatsächlich hatte Hedi von Anfang an keine Berührungsängste gezeigt. Allein ihr Rentnerinnenlook gaukelte mir immer wieder vor, sie wäre eine Spießerin.
Ich blinzelte. »Sie ist aber nicht zufällig deine Freundin, oder?«
Vor Schreck trat Hedi auf die Bremse. Der dicke Audi hinter uns hupte empört. Hektisch reihte Hedi den kleinen Dienstwagen wieder in den Verkehr ein. Ich musste grinsen. Ich hatte es geschafft, Hedi Sundermann aus der Ruhe zu bringen.
»Gut geraten. Bis vor einem halben Jahr waren wir tatsächlich zusammen«, gestand Hedi.
Wahnsinn! Volltreffer!
»Jetzt ist sie allerdings mit Piroschka zusammen«, seufzte Hedi. »Tja, so ist eben das Leben.«
»Piroschka Weber? Ehrlich?«
Erst jetzt fiel der Groschen, klingelnd und klimpernd. Unser Grüppchen damals im Fredo’s war ein Lesbentreffen gewesen. Dass ich das nicht gleich geschnallt hatte.
Hedi lächelte milde: »Das sieht man doch.«
Ach ja, Hedi konnte ja in Gesichtern lesen. Ich hatte allerdings nicht gewusst, dass man den Menschen auch an der Nasenspitze ansehen konnte, wen sie vögelten. Unwillkürlich drehte ich mich weg und sah aus dem Fenster. Sonst kriegte sie womöglich noch mit, dass ich mit Danner schlief.
»Dann ist Mona nicht schwanger?«
Hedi tippte kurz an ihr Hörgerät und warf mir einen forschenden Blick zu. »Weißt du da mehr als ich?«
So ganz abgeschlossen hatte sie mit der Trennung von Mona vielleicht noch nicht. »Dann würde ich nicht fragen.«
Hedi schien aufzuatmen.
Ich ließ den Kopf hängen. Mona war nicht schwanger. Und Mona war nicht Bella. Das war’s mit unserem Fall. Mist.
»Geht es dir nicht gut?« Obwohl sie den Wagen durch den Verkehr lenkte, registrierte Hedi meine Resignation. Ihre Antennen waren wirklich bemerkenswert.
Ich zwang mich zu einem Lächeln.
»Und du bist jetzt mit Agi zusammen?«, lenkte ich ab.
»Nee«, Hedi schüttelte den Kopf. »Agi geht nur gern mit uns aus. Seit dem Tod ihres Mannes ist sie froh über ein bisschen Ablenkung. Mit der Zeit kriegst du einen Blick dafür, bei wem sich ein Versuch lohnen könnte. Obwohl ich gestehen muss, dass ich mir bei dir nicht ganz sicher bin.«
»Bei mir?«
Hedi zwinkerte mir zu. »Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, du bist eine Schwester, aber du hast es noch nicht gemerkt. Oder nicht merken wollen.«
Was? Sie hielt mich für eine Lesbe?
»Auf jeden Fall bist du eine Süße. Also wenn du merkst, dass ich richtig liege, melde dich mal bei mir.«
Hätte ich ein Hörgerät getragen, hätte ich es jetzt zurechtgerückt.
Tag 54
BELLAS BLOG:
DIENSTAG, 23.32 UHR
Sina hat sich nicht gemeldet.
30.
»Du Sau!« Mit einem Knall schepperte die Wohnungstür
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