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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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wollte den Text verstehen. »Jennifer Juniper lives upon the hill …« Jennifer! Ihr Name. »Von Lovis für Jenny«. Ein Lied für sie, nur für sie.
    Â»Scheiße, verdammte Scheiße«, schluchzte sie, als sie merkte, dass ihr die Tränen liefen.
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    Â»Lieber Lovis, gerne kannst du heute Nachmittag zwischen 15 und 16 Uhr zu mir in die Praxis kommen. U-Bahn-Station Hauptbahnhof. Nimm den hinteren Ausgang, am Busbahnhof vorbei. Von dort aus sind es keine fünf Minuten bis zur Brandenburger Straße. Ich freue mich, dich kennenzulernen. Diana Krumholz.«
    Lovis starrte auf die Mail in seinem Rechner und kämpfte gegen die Versuchung an, einfach zurückzuschreiben, dass er um diese Zeit leider überhaupt nicht kommen könnte. Aber jetzt galten keine Ausflüchte mehr, das hatte er so entschieden. Er wollte den Tatsachen ins Auge blicken. So wie es aussah, erledigte sich die blöde Stotterei nicht von selbst. Und ewig konnte er sich nicht in der Wohnung verbarrikadieren und erfolglose Sprechübungen vor dem Spiegel machen.
    Um diese Uhrzeit waren zumindest die Bahnen nicht brechend voll, versuchte er sich zu beruhigen, als sich an der Haltestelle Ebertplatz die Angst wieder in seinem Nacken festkrallte. Es kostete ihn eine Wahnsinnsüberwindung, zur U-Bahn-Station hinunterzusteigen. Aber so hatte er entschieden, es reichte, dass er stotterte, und jetzt wollte er nicht auch noch eine U-Bahn-Phobie entwickeln. An einen Betonpfeiler gelehnt und wachsam wie ein Luchs wartete er auf die nächste Bahn. Erleichtert schwang er sich in den fast leeren zweiten Wagen der Linie 5, lief danach im Slalom durch den immer menschenvollen Hauptbahnhof, sprintete über ein paar Straßen hinweg und klingelte wenig später bei der Logopädie-Praxis Krumholz.
    Die Tür öffnete ihm eine Zwergin mit Hornbrille. Eine ziemlich alte Zwergin, um genau zu sein. Straßenkötergraue Haare, Gesundheitslatschen, quietschbunte Walle-walle-Gewänder. Könnte glatt als Frau von Gimli aus »Herr der Ringe« durchgehen, schoss es Lovis durch den Kopf. Eine ziemliche Enttäuschung, wenn man mit einer schönen blonden Prinzessin oder einer hochgewachsenen Göttin der Jagd gerechnet hatte.
    Â»Komm rein, Lovis«, schnarrte sie mit einer Reibeisenstimme, die nach durchgemachten Nächten oder Dauerrauchen klang, auf jeden Fall irgendwie nach verruchtem Leben. »Möchtest du etwas trinken?«
    Â»Wasser«, brachte er ohne Stottern heraus.
    Die Zwergin verschwand hinter einer Wand, Lovis hörte Wasser gluckern und Glas klirren. Er sah sich in dem großen Raum um. Rechts eine Spielecke mit Kinderzeichnungen an der Wand, auf der anderen Seite eine bunt zusammengewürfelte Sitzgruppe, mit Portraitfotografien, die dahinter hingen. Marilyn Monroe erkannte er, Hamit Altintop, »Mr Bean« und den Grafen von »Unheilig«. Merkwürdige Mischung, fand Lovis und setzte sich in einen der Sessel.
    Â»Du stotterst also«, schnarrte die Zwergin, als sie ein Wasserglas und einen großen Becher Kaffee auf das Tischchen der Sitzgruppe stellte. »Erzähl mir, wieso.«
    Â»M-m-ein Vater …«, begann Lovis.
    Â»Interessiert mich nicht, was dein Vater sagt«, unterbrach sie ihn schnell. »Ich will’s von dir hören.«
    Sie pflanzte sich in einen Sessel ihm gegenüber, kreuzte ihre Beine unter den Walle-walle Gewändern, nahm die Brille ab und starrte ihn neugierig an. Yoda, dachte Lovis. Ohne Brille sieht sie glatt aus wie Yoda aus »Krieg der Sterne«.
    Â»Die hatten dich wirklich schwer in der Mangel.« Sie deutete auf sein schillerndes Boxer-Auge. »Wundert mich nicht, dass so was auf die Stimme schlägt. Also, leg los! Ich bin ganz Ohr.«
    Automatisch griff er zu Papier und Bleistift, beides lag vor ihm auf dem Tischchen. Doch sie schüttelte sofort den Kopf.
    Â»Schreiben kannst du bei anderen, nicht bei mir. Du bist hier, weil ich dir helfen soll. Das kann ich nur, wenn ich höre, wie du stotterst.«
    Mögliche Antwortsätze wirbelten in seinem Kopf herum. Es sind die Vokale, wollte er sagen. Gegen die sträubt sich mein Mund, er lässt sie nicht einzeln heraus, nur doppelt und dreifach. Und weil die Vokale so störrisch sind, wollen auch die Konsonanten nicht mehr. Und dann knödeln sich alle Buchstaben in meinem Mund zu einem heillosen Durcheinander zusammen.
    Aber er sagte nichts

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