80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
ein plärrendes Kind. Wenn er mich nicht gerade mit endlosen Fragen löcherte, versuchte er mich mit einem ausführlichen und unerwünschten Vortrag über die Kunst des Streamings digitaler Medien zu beeindrucken. Also stellte ich während des gesamten Flugs von Sydney nach San Francisco meine Ohren auf Durchzug, mit dem Ergebnis, dass ich hinterher über dieses Thema genauso wenig wusste wie vorher.
Er trug rote Hosenträger, hatte einen Seitenscheitel und Wurstfinger – die perfekte Kombination, um mich abzutörnen, ehe er überhaupt die Klappe aufgemacht hatte.
Ich versuchte zu schlafen, aber der Gedanke daran, schon in weniger als vierundzwanzig Stunden Dominik zu sehen, hielt mich hellwach.
Susan hatte mir eine Europatournee in Aussicht gestellt, um an den Erfolg der gerade abgeschlossenen anzuknüpfen, sagte mir jedoch auch, dass die Organisation sechs Monate in Anspruch nehmen könnte. Das war mir nur recht. Ich fühlte mich total ausgelaugt und hatte auf nichts weniger Lust, als schon wieder auf einer Bühne zu stehen.
Als der Geschäftsheini herausfand, dass ich in San Francisco sechs Stunden bis zu meinem Anschlussflug totschlagen musste, machte er mir unverfroren das Angebot, ein Zimmer im Flughafenhotel für »einen kleinen Quickie« zu nehmen, wie er es nannte, warnte mich jedoch zugleich, sein Flieger nach Omaha hebe lange vor meinem nach La Guardia ab und darum könne er mir leider nur zwei Stündchen widmen.
Er schien ehrlich überrascht, als ich sein Angebot ablehnte, und ich war sehr dankbar, als die Anzeigetafel ihn zu einem anderen, für US -Bürger reservierten Schalter der Einwanderungsbehörde schickte. Ich hoffte inständig, dass er sein Gepäck eher bekam als ich und ich ihn höchstens noch von hinten sehen musste.
Irgendein amerikanischer Schriftsteller hat mal geschrieben: »Man kann nicht zweimal nach Hause zurückkehren.« Oder so etwas Ähnliches. Den Satz kannte ich aus einer Zeitschrift, die in Dominiks Loft herumlag, ich hatte mir aber keine großen Gedanken darüber gemacht. Bis vor Kurzem. Auf dieser Reise war mir klar geworden, dass ich jetzt in Amerika zu Hause war und nicht mehr in Neuseeland. So emotional die Beziehung zu meinem Heimatland auch war, es würde nie mehr die frühere Bedeutung für mich haben.
Ich blickte auf meine Uhr, eine alte bunte Swatch, die ich als Teenager getragen hatte und die ich in meinem einstigen Kinderzimmer aus der Schublade meines Nachttischschränkchens gekramt hatte. Es war schon Nacht in New York, höchstwahrscheinlich war er zu Hause, selbst wenn er am Abend ausgegangen war. Ich wählte Dominiks Nummer.
»Hallo.« Ja, seine Stimme klang verschlafen, aber warm, tief, vertraut.
»Ich bin’s.«
Er räusperte sich. »Schön, deine Stimme zu hören.«
»Habe ich dich geweckt?«
»Natürlich, aber das macht nichts. Du weißt doch, dass ich Frühaufsteher bin.«
»Ich bin in San Francisco. Am Flughafen, in der Transitzone. Ich nehme den Nachtflieger, ich werde am frühen Morgen in New York ankommen.«
»Ich bin in London …«
»In London?« Mich durchfuhr es eiskalt. War er etwa nach England zurückgekehrt?
»Nur für ein paar Tage. Ich musste einige Dinge erledigen. Familienkram und so. Anfang nächster Woche komme ich in die Spring Street zurück.«
Erleichtert atmete ich auf.
Die SMS , die ich ihm ein paar Tage zuvor nach dem Ende meiner Konzerttournee geschickt hatte, um ihm meine Rückkehr anzukündigen, hatte ihn irgendwie nicht erreicht.
Wir versicherten uns gegenseitig, dass das nichts mache und ohnehin nichts geändert hätte. Die Reise nach London war längst arrangiert gewesen, er hätte mich also keinesfalls vom Flughafen abholen können. In London war jetzt tiefste Nacht, und es tat mir leid, ihn geweckt zu haben. Aber seine Stimme war Balsam für meine Seele, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als noch eine Weile in dieser Lounge sitzen zu können, mich von den spärlichen Nachtdurchsagen einlullen zu lassen, an meinem lauwarmen Bier zu nippen und das Gespräch so lange wie möglich fortzuführen.
Es gab so vieles, was ich Dominik sagen wollte. Aber durch die Entfernung, den Zeitunterschied und meine Müdigkeit wollten mir einfach nicht die richtigen Worte einfallen, und so rettete ich mich mit belanglosem Geplauder.
Zum Abschied versicherten wir uns gegenseitig, dass wir uns beide auf das Wiedersehen freuten.
Als ich am folgenden Morgen mit verquollenen Augen und nur halb wach aus der Ankunftshalle von La
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