80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
aufwies. Er dirigierte das Orchester wie ein Besessener, und wenn er mit den Händen den Takt vorgab, sah es aus, als schnappten Krokodilmäuler auf und zu. Jede Veränderung seiner Gesichtsmuskeln war eine offenbar unbewusste Reaktion auf einen inneren Impuls: Mit dem Heben einer Augenbraue oder dem Kräuseln der Lippen gab er einen minimalen Wechsel der Klangfarbe oder des Tempos vor.
Ich hoffte, dass er uns Streicher ermunterte, mehr Leidenschaft an den Tag zu legen. Gemessen an dem, was er bei unseren letzten Konzerten aus uns herausgekitzelt hatte, war sein Einfluss genau das, was wir brauchten.
Baldo und Marija, meine kroatischen Mitbewohner, die Trompete und Waldhorn bliesen, standen der Veränderung zwiespältig gegenüber. Da sie sich jedoch vor Kurzem verlobt hatten, strahlte das Glück, das sie miteinander fanden, auch auf alle anderen Bereiche ihres Lebens ab. Es hätte schon eines verhängnisvollen Blitzschlags aus einem unheilschwangeren Himmel bedurft, um ihre Stimmung zu trüben.
Nach dem Erfolg ihrer eigenen Liebesbeziehung war Marija wild entschlossen, jetzt auch mich unter die Haube zu bringen, und fragte mich regelmäßig mit der Hartnäckigkeit und Raffinesse eines Privatdetektivs über den Stand meiner Beziehung zu Dominik aus.
Heute Morgen hatte ich ihr schließlich die ganze Geschichte erzählt, schon um zu erklären, warum ich zu Hause so unleidlich war.
»Die beste Methode, über einen Mann hinwegzukommen, ist, sich unter einen anderen zu legen«, meinte sie trocken, als wir uns in der Küche bei einem späten Frühstück trafen, bevor wir uns die Instrumente schnappen und auf den Weg zu unserem Auftritt machen mussten.
Sie hatte sich kürzlich einen Pony schneiden lassen, und unter dem Eindruck der strengen Linie, die ihr schnittlauchgerades schwarzes Haar über ihre Stirn zog, wirkte sie plötzlich richtig autoritär.
»Aber ich muss doch gar nicht über ihn hinwegkommen. Wir sind noch zusammen.«
»Das ja wohl kaum, oder? Du hier und er auf der anderen Seite des Ozeans?«
»Na gut, es ist keine Beziehung im eigentlichen Sinn. Wir sind Freunde. Und wir profitieren voneinander.«
»Ach, ja? Wie profitierst du?«
Ich hatte die Details unserer sexuellen Abenteuer ausgelassen, Marija aber von unserer Abmachung erzählt, dass es angesichts unseres Naturells und der Entfernung zwischen uns jedem von uns freistehe, lockere Beziehungen mit anderen zu unterhalten.
»Natürlich«, hatte sie daraufhin gesagt. »Wenn er nicht da ist, ist das sein Problem. Ein Mädchen hat seine Bedürfnisse.«
Daher lud sie mich an diesem Abend ein, mit ihr und Baldo auf einen Drink ins 230 Fifths zu gehen, in einen typischen Aufreißerclub, in dem es am Wochenende von jungen Leuten aus Manhattan auf der Pirsch nur so wimmelte. Eigentlich war ich gar nicht in der Stimmung dafür, sagte aber trotzdem zu. Ich konnte mich schließlich nicht jeden Abend in Dominiks Korsett geschnürt in meinem Zimmer verschanzen – auch wenn ich die Gesellschaft der beiden Turteltauben nur in geringen Dosen erträglich fand und die Bar zweifelsfrei zu den großkotzigen Locations zählte, um die ich normalerweise einen großen Bogen machte.
Als ich eintraf, stellte ich fest, dass sie außerdem auch einen von den Bläsern eingeladen hatten, einen Posaunisten namens Alex, der vor einem Jahr ins Gramercy Symphonia-Orchester eingetreten war, nachdem er seinen Job als Scheidungsanwalt in Wisconsin an den Nagel gehängt hatte. Er war nach New York gezogen, um sich hier seinen Traum zu erfüllen und ganz von der Musik zu leben. Marija versuchte also zu kuppeln, und das gefiel mir gar nicht.
Alex war ein netter Kerl, aber langweilig, und sein violettes Hemd hätte einem anderen, größeren und schlankeren Mann vielleicht gut gestanden, doch als er so auf einem der mauvefarbenen Ledersofas in der Bar klebte, erinnerte er mich an einen Blaubeerpfannkuchen.
Ich ließ sie auf den Sofas sitzen – Marija mit ihren langen Beinen, die sie wie Pfeifenreiniger um Baldos kürzere geschlungen hatte, und auch Alex, der gelegentlich wehmütig zu mir hochsah – und ging mit meinem Drink nach draußen auf die Dachterrasse.
Der Cocktail war mittelmäßig und die Musik nicht nach meinem Geschmack, aber der Blick über die Stadt war atemberaubend. Das Empire State Building wirkte so nah, als könnte ich es mit ausgestrecktem Arm berühren oder einen Satz hinüber machen und mich wie King Kong oder ein moderner Jack an der Bohnenranke
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