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80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)

80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)

Titel: 80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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einen Augenblick. Er hatte sich für jedes meiner kommenden Konzerte eine Gästekarte gesichert. »Ich gehe eben auch ein bisschen auf Tournee«, hatte er dazu bemerkt.
    Meine Mutter würde es nicht schaffen, zu all meinen Konzerten zu kommen. »Irgendeiner muss sich ja um die Hunde kümmern«, sagte sie entschuldigend. Aber natürlich würde die komplette Familie dabei sein, wenn ich in Auckland im Aotea Centre in der Queen Street spielte.
    Erst als ich in mein fein säuberlich bezogenes, schmales Bett kroch, genau in dem Zimmer, in dem ich meine ganze Kindheit verbracht hatte, fühlte ich mich entsetzlich einsam.
    Ich hatte mich so an den Verkehrslärm zu allen Tages- und Nachtzeiten gewöhnt, dass mich die Klänge der Großstadt in den Schlaf lullten wie eine CD mit Walgesängen oder der Meeresbrandung. Doch hier war kaum ein Geräusch zu hören. Diese ungeheure Stille schnürte mir die Kehle zu, als wäre ich in einem Floating-Tank eingeschlossen.
    Trotz des Regens öffnete ich das Fenster, kniete mich aufs Bett und starrte in die Dunkelheit. Ich hatte damit gerechnet, Sterne zu sehen, doch heute Nacht funkelten keine.
    Normalerweise war der Himmel über Neuseeland sternenübersät, und da die Luft hier so klar war, erstrahlten sie wie Leuchtfeuer.
    Manche Leute sagten, ich triebe mich in der Weltgeschichte herum, aber wie konnte es anders sein, wenn man von hier stammte? Der Wunsch, Neues zu entdecken, pulste durch unsere Adern. Natürlich verstand ich auch, warum wir zurückkehrten. Niemals würde meine Heimatliebe schwinden, egal wie lange ich fort war. Aber dass jemand nicht den Wunsch verspürte, sich aufzumachen, konnte ich nicht nachvollziehen.
    War Dominik vom gleichen Schlag wie ich? Oder war er nur wegen mir nach New York gekommen? Ob es mit uns beiden noch einmal etwas Richtiges werden konnte? Einerseits schien unsere Beziehung zum Scheitern verurteilt. Ich war mir unsicher, ob er mir jemals verzeihen würde, dass ich ihn zurückgelassen hatte und auf Tournee gegangen war. Andererseits schreckte mich die Vorstellung, ohne ihn zu sein. Deshalb hatte ich ja bereits alles Mögliche versucht, um seine Gegenwart heraufzubeschwören. Das meiste davon war dumm oder gefährlich gewesen. Oder beides.
    In letzter Zeit verzichtete ich darauf, mir das Seil um den Hals zu schlingen, wenn ich allein war. Ich hatte entsetzliche Angst vor möglichen Folgen. Und dass meine Angst mich antörnte, ängstigte mich noch mehr. Selbst Dominik würde das nicht mögen, dachte ich. Obwohl die Gefahr, dass ich über etwas stolperte, mich in dem Seil verhedderte und mich strangulierte, praktisch gleich null war.
    Es lag noch immer in meinem Koffer. Mein Puls war gerast, als ich damit durch den Zoll ging und überlegte, wie ich mich herausreden könnte, falls man meinen Koffer durchsuchte. Vielleicht mit Bergsteigen oder Pfadfinderei? So hatte ich es ja auch Simón erklärt, als ich ihn an jenem Abend zum Abschied küsste. Vielleicht hätte ich ehrlich sein und ihm ins Ohr flüstern sollen, dass ich ein bisschen Bondage erregend fand. Das war schließlich kein Verbrechen.
    Doch bisher war mein Gepäck immer ohne Nachfrage durchgewinkt worden. Und ich hatte das Seil noch nicht aus dem Koffer genommen. Es lag darin wie eine Schlange, die sich im Sand vergraben hatte, eine stets präsente, aber unsichtbare Gefahr.
    Wie um alles in der Welt war es dazu gekommen?, grübelte ich und starrte in den schwarzen Himmel. Mein Gesicht und die Fensterbank waren inzwischen regennass und kalt. Der Wind pfiff durch die Bäume, diese freundlichen Gefährten meiner Gedanken, ein kleines Tier flitzte ins Gebüsch.
    Ich schloss das Fenster und ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, das noch genau so aussah wie bei meinem Auszug.
    Ich hatte gedacht, meine Eltern würden vielleicht in ein kleineres Haus ziehen, nachdem wir flügge geworden waren, das wäre sie billiger gekommen. Oder sie würden sich einen Untermieter suchen, damit ein bisschen Geld in die Haushaltskasse kam. Zumindest hatte ich damit gerechnet, dass sie die Kinderzimmer zu Gästezimmern umgestalten oder als Stauraum nutzen würden. Aber nein, sie waren allesamt bis ins Detail unverändert geblieben und boten dasselbe Bild wie an dem Tag, als wir das Haus verlassen hatten: das innenarchitektonische Äquivalent einer Zeitkapsel.
    Als Kind war ich Minimalistin. Ein paar Bücher, ein Stapel Schallplatten, Kassetten und CD s. Ein Globus, den ich stundenlang drehte und mir dabei

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