80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
hier verbringen.«
»Das wäre toll.« Mittlerweile schlenderten sie wieder über die Promenade. Die Sonne war schon untergegangen, doch der Himmel war noch immer blau, nur mittlerweile in einer dunkleren Tönung. Es waren weniger Menschen unterwegs, und sie waren anders gekleidet, erste Nachtschwärmer, die wie Vampire ihren Särgen entstiegen – ein anderer Menschenschlag, angezogen von den Neonlichtern, die weiter hinten an der Promenade blinkten.
»Wie wär’s mit einem leckeren Abendessen?«, schlug er vor.
»Sind wir dafür gut genug angezogen?«, fragte sie. Sie trugen beide Jeans, Lauralynn mit einem dünnen weißen T-Shirt, unter dessen dehnbarem Stoff sich deutlich ihre Nippel abzeichneten, dazu flache Ballerinas, Dominik mit einem kurzärmligen grauen Button-down-Hemd.
»Wir sind in Atlantic City. Hier sieht man das bestimmt nicht so eng«, meinte er. Oder galten hier etwa die Regeln gewisser Londoner Clubs, wo man einen Schlips oder sogar ein Jackett geliehen bekam, damit man der Hausordnung gerecht wurde? Bestimmt hatten auch noch einige Geschäfte an der Promenade geöffnet, da konnte er sich zur Not ein sommerliches Jackett kaufen.
Lauralynns Augen leuchteten auf. »Und nach dem Essen möchte ich in ein Casino«, sagte sie.
»Warum nicht?«
Sie landeten schließlich im Tropicana, in dem kein Jackettzwang herrschte. Zu seiner Überraschung sah Dominik, dass Lauralynn eine waghalsige, impulsive Spielerin war. Er dagegen ließ gänzlich die Finger davon. Selbst als er zweimal im Rahmen von Seminaren und Tagungen im Spielerparadies Las Vegas gewesen war, hatte er es fertiggebracht, nicht einen Cent in die Einarmigen Banditen zu stecken, denen man in dieser Stadt nirgends entkam, nicht einmal in den Gängen des Flughafens oder in den Hotel- und Restauranttoiletten. Es hatte ihn auch nie gereizt, sich an einen Blackjack-Tisch zu setzen.
Als Student hatte er sich eine Zeit lang regelmäßig mit Freunden zum Pokern getroffen, doch sie hatten um geringe Einsätze gespielt (und wenn sie ihr Monatsbudget bis zum Anschlag ausgereizt hatten, gelegentlich auch um Streichhölzer). Andere Kartenspiele kannte er nicht und hatte auch keine Lust, sie zu lernen.
Zunächst nahm Lauralynn einen der Roulette-Tische in Angriff, wo sie ihre wenigen Chips durch geschicktes Setzen nur auf Rot und Schwarz rasch verdreifachte. Dabei ließ sie sich allein von ihrem Gefühl leiten und hatte entweder Glück oder hellseherische Kräfte. Sobald sie zweimal in Folge verlor, verließ sie den Tisch und wechselte zum nächsten. An einem wurden auch Karten ausgegeben, aber Dominik hatte nicht die geringste Ahnung, was man dort spielte. Wieder war Lauralynn erstaunlich erfolgreich, und der Turm mit den vor ihr aufgestapelten Chips wuchs zusehends in die Höhe. Da Dominik nicht wusste, für welche Beträge die verschiedenen Farben standen, konnte er nicht abschätzen, wie viel sie gewonnen hatte. Mit der Zeit wurden einige der durch den Raum schlendernden Zuschauer auf sie aufmerksam und scharten sich um den Tisch, an dem sie spielte – viele von ihnen Männer mit einem gewissen Raubtierblick, aber auch einige Frauen.
Als Lauralynns Gewinne nach einiger Zeit geringer wurden und sie zu einem weiteren Tisch wechselte, wo es ruhiger zuging, wurde es Dominik langweilig. Dabei stach Lauralynn unter den anderen Spielern heraus wie ein bunter Hund, mit ihrer blonden Mähne, die ihr über das blütenweiße T-Shirt bis auf die Schultern fiel, und ihrer aufrechten Haltung, rassig wie ein Vollblutpferd.
Irgendwann hatte sie genug, sie sammelte ihre Chips ein und erhob sich. Jeder einzelne der anderen Spieler sah ihr nach, als sie davonging.
»Ich brauche einen Drink«, sagte sie zu Dominik.
»Den kannst du dir ja jetzt auch leisten«, erwiderte er.
Leider vergaß Dominik, beim Barmann seine Cola ausdrücklich mit wenig Eis zu bestellen, deshalb war sie verwässert und geschmacklos.
»Du lebst gern riskant«, stellte er fest, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. Lauralynns Augen funkelten noch immer, weil ihr das Spielen so viel Spaß gemacht hatte. »Das ganze Leben ist ein Risiko«, antwortete sie.
»Aus Risikofreude kann aber auch schnell Leichtsinn werden«, wandte er ein.
»Genau das ist meiner Meinung nach dein Problem, Dominik«, erklärte sie. »Auf der einen Seite möchtest du vorankommen und dabei Risiken eingehen. Auf der anderen aber willst du genau abwägen, überlegen und scheust den nächsten Schritt. Du kannst
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