80 Days - Die Farbe der Erfüllung: Band 3 Roman (German Edition)
noch nie hatte ich im Scheinwerferlicht eines Fotoateliers posiert.
Grayson hatte im Voraus alles per E-Mail mit mir abgeklärt. Es war ganz offensichtlich ein Standardschreiben, das er allen seinen Kunden schickte, mit seiner Adresse, einer Anfahrtsbeschreibung und einer Liste, welche Dinge man mitbringen solle. Er hatte mich auch gebeten anzugeben, wie weit ich zu gehen bereit war: angezogen, in Dessous oder nackt. Er ziehe es vor, dies vorher zu wissen, hieß es in der Mail, um ein Model nicht in Verlegenheit zu bringen, wenn er erst vor Ort frage. Auch wolle er nicht riskieren, dass sich jemand aus einer spontanen Laune heraus mit etwas einverstanden erkläre und es hinterher bereue.
Ich dürfe niemanden zu dem Shooting mitbringen, weil mich das ablenken oder meine Posen beeinflussen könne, aber seine Visagistin sei die ganze Zeit dabei, ich könne also ganz beruhigt sein. Ganz eindeutig war er keiner dieser Lustmolche mit Kamera, die Mädchen zu angeblichen Fotoshootings einluden, sie aber nur begaffen wollten, wenn sie sich auszogen. Ich bezahlte Grayson für den Auftrag, und Susan hatte mir eingeschärft, keinesfalls irgendetwas zu unterschreiben, das es ihm erlaubte, die Aufnahmen ohne meine ausdrückliche Genehmigung anderweitig zu verwenden.
Ich hatte ihm in meiner Antwortmail kurz erläutert, welche Art Fotos wir haben wollten, und ergänzt, dass Nacktaufnahmen für mich in Ordnung gingen, solange sie, wie Susan es ausdrückte, innerhalb der Grenzen des guten Geschmacks blieben. Für die Werbung würden wir dann nur die unverfänglichen Bilder nehmen.
»Hast du etwas Passendes zum Anziehen mitgebracht?«, fragte er, als er mir die leere Kaffeetasse aus der Hand nahm und in die Spüle stellte.
»Ein paar Sachen, ja«, antwortete ich und kramte in der riesigen Tasche, in die ich alles hineingestopft hatte. Es waren teils meine Klamotten und teils Sachen von Fran, die mir meistens eine Nummer zu klein waren, aber zur Not gingen: schwarze Lackleggings, eine Lederjacke, mehrere Kleider, Frans hohe Schaftstiefel und die sündhaft teuren Schuhe, die ich mir nach dem Erfolg meiner ersten Tournee zur Belohnung geleistet hatte: schwarze, mit silbernen Nieten besetzte Louboutins. Nichts davon entsprach wirklich meinem Stil. Passt alles eher zu einer Domina als zu einer Rockerin, dachte ich, als ich es vor mir ausgebreitet sah, aber Grayson schien meine Auswahl zu gefallen.
»Du willst aber auch Halbakte, nur mit der Violine?«
»Ja«, erwiderte ich aufgeregt und unwillkürlich schrill, da ich in Gedanken schon dabei war, mich auszuziehen. Es gibt doch keinen Grund, nervös zu sein, sagte ich mir. Aber irgendwo in mir meldete sich ein lange zurückgehaltener Exhibitionismus. Es hatte Zeiten gegeben, da ich mich in der Öffentlichkeit entkleidet und es genossen hatte, jedoch war das immer auf Anweisung geschehen, entweder hatte mir Dominik oder Victor, der dominante Mann, dem ich in New York über den Weg gelaufen war, den Befehl dazu gegeben.
»Zum Aufwärmen mache ich erst Fotos von dir in Klamotten.«
Grayson verhielt sich freundlich, aber so professionell, dass er fast schon kühl wirkte, ganz, als vermiede er bei der Arbeit grundsätzlich alles, was auch nur versehentlich wie ein Flirt wirken könnte.
Ich fand es merkwürdig, zum Umziehen mit meiner Tasche ins Badezimmer zu gehen, wo doch der Spiegel neben dem Tisch der Visagistin stand und mich beide später ohnehin nackt sehen würden. Also entkleidete ich mich vor ihren Augen. Zuerst zog ich mir die Bluse über den Kopf, dann schlüpfte ich aus dem Rock und schob beides lässig mit einer Fußbewegung beiseite, als würde ich so etwas tagtäglich tun. Dabei plapperte ich unentwegt, weil ich unbedingt locker wirken wollte. Beide schenkten mir zwar keinerlei Beachtung, aber dennoch fühlte ich mich unbehaglich.
Für den Anfang schlüpfte ich in die Lackleggings und die nietenbesetzten Louboutins und zog die Lederjacke über einen schwarzen BH . Fran und ich hatten eine Art Anprobe gemacht und waren zu dem Schluss gekommen, dass diese Kombination das rockigste Outfit abgab.
Nach einer Stunde Schminken und Frisieren erkannte ich mich selbst kaum wieder. Meine von schwarzem Eyeliner dick umrahmten Augen glühten, wozu auch grauer Lidschatten und falsche Wimpern beitrugen, die so lang waren, dass sie mich an den Augenbrauen kitzelten. Die Haare hatte Jess zu einer hohen, glatten Tolle frisiert und meine Gesichtskonturen mit verschiedenfarbigem Puder so
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