80 Days - Die Farbe der Erfüllung: Band 3 Roman (German Edition)
wendete, ich saß in einer Klemme, aus der ich mir keinen Ausweg wusste. Wenn ich ihn verärgerte, entzog er den Groucho Nights womöglich seine Unterstützung, und dann wäre es meine Schuld, wenn Chris seine Träume begraben müsste. Wenn ich nichts unternahm, verlor ich die Bailly vielleicht für immer. Und wenn ich mir weiterhin von Dominik helfen ließ, würde am Ende herauskommen, dass ich mit dem Typen schlief, der mir sein großes Geschenk gestohlen hatte.
In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Ich starrte die öden Wände des Hotelzimmers an und hoffte auf eine Eingebung, die all meine Probleme lösen würde. Sie kam aber nicht. So früh wie nur selten sprang ich aus dem Bett und schlüpfte wieder in meine Laufschuhe, als könnte ich vor meiner miesen Stimmung einfach davonlaufen. Als meine Schienbeine zu schmerzen begannen, drosselte ich das Tempo. Nicht, dass mir die Schmerzen viel ausgemacht hätten, sie lenkten meine Gedanken von Dominik ab; doch ich hatte Angst, eine Sehnenscheidenentzündung zu bekommen, die mich gezwungen hätte, mein Training wochenlang auf ein vernünftigeres Maß zu reduzieren.
Diesmal vergaß ich nicht, vor der Reise mein Korsett anzulegen. Wieder acht Stunden Busfahrt – nach Berlin.
Am frühen Abend kamen wir dort an. Untergebracht waren wir in Neukölln, und unser erstes Konzert sollte am folgenden Abend im Festsaal Kreuzberg stattfinden. Berlin war die erste Stadt, in der wir an zwei Abenden hintereinander auftraten. Susan hatte es irgendwie geschafft, eines der Fotos, die Grayson von mir geschossen hatte, in ein paar populären deutschen Musikmagazinen unterzubringen. Es war gewagt, aber keineswegs schlüpfrig, zeigte mich in Frans Lackleggings, einer Lederjacke und meinen mit Nieten besetzten Loubutins in einer verführerischen Pose mit der Bailly in der Hand. Als Sologeigerin hatte ich mir hier schon einen Namen gemacht, und die Groucho Nights standen für eine populäre Mischung aus Klassik, Rock und Sex, die für ausverkaufte Konzerte sorgte.
Kein Wunder also, dass die Band in guter Stimmung war. Wir hatten das Hotel sogar noch für ein paar weitere Nächte gebucht, um hier einen kleinen Kurzurlaub einzulegen. Das war das erste Mal seit Beginn der Tournee, dass wir Gelegenheit hatten, uns wie richtige Touristen in einer Stadt umzusehen, und nicht gleich nach dem Auftritt zum nächsten Bestimmungsort hetzen mussten.
Fran, immer auf Sparsamkeit bedacht, hatte für uns Zimmer in einem einfachen Hotel besorgt, in dem es auch einen sicheren Aufbewahrungsort für unser Equipment gab, das wir nicht über Nacht im Tourneebus lassen konnten. Es lag in einer ziemlich ruhigen Wohnstraße, direkt an einem Kanal, auf dem friedlich Schwäne vorbeizogen und Liebespaare Hand in Hand unter den Bäumen spazierten. Von dem türkischen Restaurant nebenan wehte der Duft von Gebäck, gebratenem Fleisch und Gewürzen herüber.
Ich fiel ins Bett, kaum dass wir eingecheckt hatten, und schlief zum ersten Mal seit langer Zeit richtig durch. Vielleicht lag es an der Erinnerung an Dominiks Stimme, vielleicht auch an der Hoffnung, ihn wiederzusehen, und der Aussicht, dass wir es dann schaffen würden, zumindest Freunde zu sein.
Der Konzertsaal lag an einer Straße mit einer Hochbahn, direkt neben einer Autowerkstatt. Von außen machte er einen unscheinbaren Eindruck, und ohne das Schild mit dem Namen »Festsaal Kreuzberg« hätte man ihn glatt übersehen können. Aber als es dann losging, war der Laden brechend voll. Es gab nur Stehplätze, und oben auf dem Balkon drängten sich so viele Leute, dass ich schon fürchtete, die ganze Bude könnte zusammenbrechen. Wir hatten ein paar Probleme mit dem Soundcheck und fingen ein wenig verspätet an. Als wir auf die Bühne kamen, stampfte das Publikum mit den Füßen und schrie sich die Kehlen heiser.
Es war der erste Abend, an dem wir nicht genügend Zugaben auf Lager hatten und eine Extranummer aus dem Hut zaubern mussten, bis sie uns von der Bühne ließen.
Wir hatten schon alles zusammengepackt und überlegten uns gerade, wie wir den Rest des Abends verbringen sollten, als ich eine vertraute Stimme rufen hörte.
»Hallo, Kleine.«
Beim sinnlichen Klang dieser New Yorker Stimme fuhr ich herum.
Es war Lauralynn in ihrer gewohnt hautengen Jeans, einem weißen T-Shirt und High Heels. Natürlich trug sie keinen BH . Sie war so ziemlich die einzige mir bekannte Frau, die sich ohne dieses Kleidungsstück in der Öffentlichkeit zeigte. Während ich
Weitere Kostenlose Bücher