80 Days - Die Farbe der Lust
einen Schaukelstuhl gekuschelt in ihrem Wohnzimmer in Notting Hill und trank einen doppelten Espresso, den sie mir in einer zierlichen Tasse serviert hatte. Seit unserem letzten Treffen war es mit ihren Finanzen definitiv aufwärts gegangen.
»Mit dem Tanzen läuft es also gut?«, fragte ich und ließ den Blick in dem weitläufigen Zimmer über das glänzende Parkett und den großen Flachbildfernseher an der Wand schweifen.
»Um Himmels willen, nein«, erwiderte sie und schaltete die Espressomaschine aus. »Das war grässlich. Ich habe kaum was verdient, und dann wurde ich auch noch rausgeschmissen.«
Sie schlang einen Finger um den Henkel ihres eigenen Tässchens und ging damit zum Sofa hinüber. Meiner Vermutung nach waren ihre jetzt sehr langen und ganz glatten braunen Haare Ergebnis einer Haarverlängerung, aber zu meiner Freude hatte sie noch immer keine künstlichen Fingernägel. Charlotte war gewiss kein Unschuldslamm, aber sie hatte Klasse.
»Ich spiele Online-Poker«, sagte sie mit einer Kopfbewegung zum Schreibtisch in der Ecke, auf dem ein großer Mac stand. »… und habe damit ein Vermögen gemacht.«
Hinten im Flur öffnete sich eine Tür, aus der Dampf herausquoll. Sicherlich das Badezimmer. Ein mildes Lächeln machte sich auf Charlottes Gesicht breit, als sie sah, dass ich den Kopf dem Geräusch zuwandte.
»Jasper«, sagte sie. »Er ist in der Dusche.«
»Kennt ihr euch schon lang?«
»Lang genug«, sagte sie mit einem Grinsen, als er ins Wohnzimmer schlenderte.
Er war einer der bestaussehenden Männer, der mir je unter die Augen gekommen ist: dichtes, dunkles, vom Duschen noch nasses Haar; schlanke Schenkel in locker sitzender Jeans; ein kurzärmeliges Hemd, das unter den noch offenen Knöpfen gut trainierte Bauchmuskeln und eine schmale Spur Härchen enthüllte, die sich hinunter zu seinen Lenden zog. Als wartete er auf etwas, stand er schweigend neben der Küche und frottierte sich mit einer Hand das Haar.
»Ich bring nur mal kurz den hübschen Knaben zur Tür«, sagte Charlotte, zwinkerte mir zu und erhob sich vom Sofa.
Und dann sah ich, dass sie aus einem Umschlag in ihrem Bücherregal ein Bündel Geldscheine nahm und es ihm in die Hand drückte. Er faltete es zusammen und steckte es, ohne nachzuzählen, diskret in die Gesäßtasche.
»Danke«, sagte Jasper zu ihr. »Es war mir wirklich ein Vergnügen.«
»Das Vergnügen lag ganz auf meiner Seite«, entgegnete sie, öffnete die Tür und küsste ihn zart auf die Wangen.
»Das wollte ich schon immer mal sagen«, erklärte sie, als sie sich wieder aufs Sofa fallen ließ.
»Ist er ein …«
»Ein Callboy?«, soufflierte sie mir. »Ja.«
»Aber du könntest doch problemlos …«
»Jemanden aufreißen?«, beendete sie wiederum meinen Satz. »Schon möglich. Aber ich mag es, dafür zu bezahlen. Eine Art Rollentausch, wenn du verstehst, was ich meine. Und ich habe den ganzen anderen Kram nicht am Hals.«
Mir leuchteten die Vorzüge unmittelbar ein. In diesem Moment – wie auch in fast jedem anderen – wäre ich für einen einfachen, unkomplizierten Fick ohne Schuldgefühle über Leichen gegangen.
»Hast du heute Abend schon was vor?«, fragte sie mich unvermittelt.
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf.
»Gut. Wir gehen aus.«
Ich protestierte, dazu sei ich weder in der Stimmung, noch hätte ich etwas anzuziehen oder genügend Geld. Außerdem hasste ich Nachtclubs voller Mädchen, die für einen Drink mit ihren falschen Wimpern klimpern und sich von schmierigen Typen angrapschen lassen.
»Das bringt dich auf andere Gedanken. Und ich zahle. Ich habe auch was zum Anziehen für dich. Und dort ist es anders. Es wird dir gefallen.«
Einige Stunden später stand ich an Deck eines großen Schiffs, das am Ufer der Themse vertäut war und auf dem im Herbst einmal monatlich Fetischpartys stiegen.
»Was genau bedeutet ›Fetisch‹?«, fragte ich Charlotte mit leichtem Herzklopfen.
»Ach, eigentlich nichts«, antwortete sie. »Die Leute ziehen sich einfach etwas freizügiger an, jeder nach seinem Geschmack. Und sie sind netter als woanders.«
Grinsend riet sie mir, mich zu entspannen. Offenbar hatte ich das wirklich nötig.
Ich trug jetzt ein hellblaues Korsett, Rüschenhöschen und Strümpfe mit einer blauen Naht, die von den Oberschenkeln bis zu den Fesseln lief und in silbernen Stilettos verschwand. Meine Haare hatte Charlotte auftoupiert und damit das Volumen meiner ohnehin schon üppigen roten Lockenpracht verdoppelt, bevor sie mir
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