80 Days - Die Farbe der Lust
einen Zylinder neckisch schräg auf den Scheitel setzte. Außerdem hatte sie mir die Augen dick und dunkel mit flüssigem Eyeliner umrandet, die Lippen glänzend knallrot geschminkt und mit Hilfe von Vaseline ein bisschen Silberglitter auf die Wangen geklebt. Allerdings war mir das Korsett um einiges zu groß und musste stark geschnürt werden, damit es meine Taille betonte, und die Schuhe waren mir ein bisschen zu klein, sodass es ein Kunststück war, darin zu gehen. Aber im Großen und Ganzen machte ich eine gute Figur – so hoffte ich wenigstens.
»Wow«, sagte Charlotte und musterte mich von oben bis unten, nachdem sie mich fertig gestylt hatte. »Du siehst scharf aus.«
Unbeholfen stakste ich zu ihrem Spiegel. Verdammt, am Ende des Abends würden mich meine Füße umbringen. Die Schuhe drückten jetzt schon.
Erfreulicherweise konnte ich Charlotte nicht widersprechen, auch wenn ich das nie offen gesagt hätte – man soll ja immer hübsch bescheiden sein. Allerdings sah das Mädchen im Spiegel nicht aus wie ich. Eher wie eine rebellische ältere Schwester in burlesker Kostümierung. Obwohl das Korsett nicht allzu fest saß, zwang es mich zu einer geraden Haltung. Und auch wenn mir insgeheim nicht wohl dabei war, in dieser Aufmachung die Wohnung zu verlassen, wirkte ich mit den zurückgenommenen Schultern und dem nackten Hals vermutlich selbstsicher wie eine Tänzerin.
Charlotte hatte sich vor meinen Augen komplett ausgezogen und ihren Körper mit Gleitcreme eingerieben, bevor sie mich bat, ihr in ein winziges knallgelbes Latexkleid zu helfen, auf dem von der Taille an beidseits zwei rote Blitze zuckten. Das Kleid war tief ausgeschnitten, sodass ihre vollen, eng an den Ausschnitt gepressten Brüste mitsamt einer verführerischen Ahnung ihrer Brustspitzen fast ganz zu sehen waren. Die Gleitcreme hatte Zimtaroma, und einen kurzen Augenblick war ich versucht, an ihr zu lecken. Mir fiel auf, dass sie keinen Slip trug, obwohl ihr das Kleid kaum über den Po reichte.
Charlotte war wirklich schamlos, soviel stand fest, aber ich bewunderte ihr Selbstvertrauen, und nach einem Tag in ihrer Gesellschaft begann ich mich daran zu gewöhnen. Sie zählte zu den wenigen Leuten in meinem Bekanntenkreis, die einfach taten, was sie wollten, ohne sich einen Dreck darum zu scheren, was andere von ihr dachten.
Ich in meinen zu kleinen Stilettos mit den zwölf Zentimeter hohen Absätzen und Charlotte in ihren gigantischen roten Plateauschuhen mussten uns aneinanderklammern, als wir kichernd mit zaghaften Schritten die steile Gangway zum Schiff hinuntertrippelten.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Charlotte. »Du liegst schneller auf dem Rücken, als du denkst.«
Ach ja?
Als wir gegen Mitternacht aufs Schiff kamen, war die Party schon in vollem Gange. Ich zögerte ein bisschen, die Jacke abzulegen und mehr Fleisch zur Schau zu stellen, als ich es normalerweise tat. Aber Charlotte versicherte mir, ich passe hier bestens hin. Am Empfang zeigten wir unsere Eintrittskarten und bekamen dafür einen Stempel auf den Handrücken, gaben unsere Mäntel an der Garderobe ab, staksten die Treppe hinauf und traten durch die Flügeltür in die große Bar.
Meine Sinne schlugen sofort Alarm. Jeder hier, ob Mann oder Frau, trug die abgefahrensten Sachen. Latex, wohin man schaute, aber auch altmodische Dessous, Zylinder, Fräcke und Uniformen; ein Mann hatte gar nichts an außer einem Penisring an seinem schlaffen Schwanz, der bei jedem Schritt fröhlich wippte. Eine kleine Frau mit voluminösem Rock und sonst nichts am Leib schob ihre frei hängenden, üppigen Brüste durch die Menge und hatte einen sehr dünnen, großen Mann an der Leine, der so tief gebückt ging, dass sie ihn mühelos hinter sich herziehen konnte. Er erinnerte mich an Mr. van der Vliet.
Auf einem der Sofas saß ganz allein ein kleiner Mann oder vielleicht auch eine androgyne Frau mit Maske und in Ganzkörper-Latexanzug. So hundertprozentig richtig hatte Charlotte mit ihrer Beschreibung nicht gelegen, dass die Fetischisten alle wenig Kleidung anhätten. Klar, viele trugen so gut wie nichts, was ihnen gut stand, aber eine erkleckliche Anzahl war in aufwendiger Kostümierung erschienen, die noch den letzten Zentimeter Haut verdeckte und trotzdem sexy wirkte. Billigkostüme waren ebenso unerwünscht wie Straßenkleidung, was dafür sorgte, dass hier niemand geschmacklos wirkte, sondern sich alle wie für einen großen Auftritt herausgeputzt hatten.
»Was trinkst du, Süße?«,
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