80 Days - Die Farbe der Lust
mich zu bewegen, mich anzuziehen und mir ein Taxi nach Hause zu nehmen.
Ich hatte bekommen, was ich wollte.
Oder etwa nicht?
Dieses Gefühl des Friedens, des Sichverlierens in einer anderen Dimension, dieser andere Bewusstseinszustand, der, seit ich denken konnte, schon immer meine Zuflucht und in gewissem Sinn meine Heimat war.
Zurück in meiner Wohnung fiel ich ins Bett und schlief trotz des pochenden Schmerzes auf meiner Haut so tief wie schon seit Wochen nicht mehr.
Erst am nächsten Morgen sah ich im Badezimmerspiegel die blauen Flecken.
Auf meinem Hintern und an den Seiten zeigte sich ein in unterschiedlichsten Schattierungen schimmerndes, eigentlich sehr reizvolles Muster. Und als ich mich in dem großen Spiegel in meinem Schlafzimmer genauer betrachtete, entdeckte ich auf einer meiner Pobacken den schwachen Abdruck einer Hand.
Mist.
Hoffentlich ließ Dominik sich mit seinem Anruf noch ein paar Tage Zeit.
6
EIN MANN UND SEINE LUST
Dominik fuhr wie in Trance. Vor seinem inneren Auge spulte sich der Nachmittag noch einmal ab, und er verweilte bei jedem einzelnen Augenblick. Wie auf Autopilot lenkte er den grauen BMW durch das Baustellenlabyrinth um den Bahnhof Paddington und bahnte sich Meter für Meter seinen Weg nach Westway.
Die Farbe ihrer Haut.
Diese übernatürliche Blässe. Tausend Schattierungen von in Lichtgeschwindigkeit changierendem Weiß, mit mikroskopisch kleinen Anteilen von Rosa, Grau und einem matten Beige, die alle und jede für sich nach einem Tag in der Sonne schrien. Die ganz besondere Anordnung von Muttermalen und kleinen Schönheitsfehlern, die die Landschaft ihrer Haut überzogen. Und ihre Rundungen im künstlichen Licht der Krypta, das über ihren Körper getanzt war und damit das Augenmerk nur umso deutlicher auf die Bereiche im Dunkeln lenkte; ihre schimmernden Muskeln, die sich unter der Haut abzeichneten; die Sehnen ihrer Waden, wenn sie unmerklich das Gewicht verlagerte, um sich einem nächsten Ton entgegenzustrecken; die Art, wie sich der geschwungene Geigenkorpus an ihren Hals schmiegte; die flinken Finger, die über die Saiten glitten, während die andere Hand energisch den straffen Bogen schwang, der das Instrument attackierte wie ein Krieger.
Beinahe hätte er die Ausfahrt verpasst. Er musste seine Erinnerungen kurz beiseiteschieben, um die scharfe Kurve nehmen zu können. Ein Fiat-Fahrer, der von seinem Manöver in letzter Sekunde nicht begeistert war, hupte kräftig.
Man hatte Dominik schon immer gesagt, er habe ein Pokerface, das seine Gefühle nur selten verrate, nicht in der Öffentlichkeit und schon gar nicht in intimeren Momenten. Er hatte dem Konzert wie in stillem Gebet versunken gelauscht, das Gesicht eine Maske, aber aufmerksam und interessiert an der Musik mit all ihren subtilen Nuancen. Und an den Bewegungen der Musiker, als sie ihrem delikaten Auftrag nachkamen, schwarz-weiß gekleidet und natürlich nackt. Summer.
Es war wie ein Ritual gewesen. Eine Sinfonie der Kontraste – hier die weißen Hemden und dunklen Anzüge, dort die dreiste Nacktheit von Summer, als sie geradezu mit ihrem Instrument rang, um ihm jeden Klang, jede Tonfolge zu entreißen, sie auszukosten und zu zähmen. Einmal war ihr eine kleine Schweißperle von der Nase auf eine der harten blassbraunen Brustspitzen getropft und hatte ihr kurzes Dasein auf dem harten Steinboden der Krypta beendet, knapp neben ihren Schuhen, diesen High Heels, die sie auf sein Geheiß hin anbehalten hatte.
Vielleicht wäre das Ritual noch erregender gewesen, wenn er sie gebeten hätte, halterlose Strümpfe zu tragen, überlegte Dominik. Schwarze natürlich. Aber wer weiß, vielleicht auch nicht.
Unter dem Schutz seiner scheinbaren Ungerührtheit hatte er der Aufführung mit einer Mischung aus loderndem Begehren und gezügeltem Jagdtrieb gelauscht. Wie ein Großinquisitor bei einem besonders delikaten Verfahren: für die Augen eines hypothetischen Zuschauers äußerlich völlig neutral, dabei fiebrig am Geschehen beteiligt, und während er schaute, prüfte, abwog, überlegte, rasten seine Gedanken in die verschiedensten Richtungen, bildeten ein verrücktes unförmiges Knäuel. All das unterlegt von jenen unsterblichen Melodien, die das improvisierte Quartett so meisterhaft zu Gehör brachte und die sowohl Bilder als auch Worte zum Leben erweckten, wie es guter Musik stets gelingt.
Die Form ihrer Brüste, ihre ideale Größe, das zarte Tal dazwischen und die beiden sichelförmigen Schatten darunter
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