80 Days - Die Farbe der Lust
gewechselt –, aber Charlotte hatte schon immer gern mit Männern rumgemacht, für die ich mich interessierte. Da sie offenbar ihren Spaß daran hatte, meine Reaktion zu beobachten, gab ich mir größte Mühe, völlig ungerührt zu wirken.
Ich war gerade in der Küche und verteilte den Nachtisch auf die Schälchen, als ich aus dem Wohnzimmer den klaren Klang einer Bratsche vernahm. Charlottes Gäste waren verstummt und lauschten der Musik. Es war ein Stück von Black Violin, dem Hip-Hop-Duo, das gewöhnlich mit Geige und Bratsche auftritt. Allerdings hörte ich nur die Bratsche. Chris. Wir hatten das Stück schon oft zusammen gespielt, auch an jenem Abend, an dem ich ihm Charlotte vorgestellt hatte. Sehr zu meinem Ärger hatte sie danach etwas mit ihm angefangen. Ihm war es peinlich, obwohl es in unserer Freundschaft nie auch nur das kleinste erotische Knistern gegeben hatte – erstaunlich, denn bei mir funkte es mit fast jedem, sogar mit dem Milchmann. Andererseits war es angenehm, einen Mann zum Freund zu haben, mit dem ich ganz entspannt umgehen konnte, ohne mich fragen zu müssen, was sich daraus ergab.
Was würde er jetzt von mir denken?
Kaum war das Stück zu Ende und der Applaus noch nicht verklungen, hörte ich schon wieder die durchdringende Glocke. Sicher Charlotte, die den Nachtisch servieren lassen wollte. Ich nahm so viele Schälchen, wie ich tragen konnte, und ging ins Wohnzimmer – teils weil Dominiks Glocke mich wie ein Sirenengesang rief und ich ihr einfach folgen musste und teils weil Charlotte mich provozieren wollte und ich es nicht zulassen durfte, dass sie damit durchkam. Nein, ich würde mich nicht in der Küche verstecken. Chris musste eben damit klarkommen.
Er machte große Augen, als ich auftauchte. Rasch warf ich ihm einen Blick zu, dann senkte ich die Lider, in der Hoffnung, er würde diese stumme Geste verstehen und den Mund halten. Und das tat er.
Charlotte konnte es allerdings nicht lassen. »Na, wie gefällt dir unser neues Dienstmädchen?«, fragte sie Chris.
»Niedlich«, antwortete er ohne jede Verlegenheit.
Dann begann er wieder zu spielen und kam damit der Fortsetzung des Gesprächs zuvor. Mit einem Seufzer der Erleichterung verschwand ich in der Küche. Danke, lieber Gott, dass du mir gute Freunde geschenkt hast. Ich nahm mir fest vor, Chris nie wieder zu vernachlässigen, egal, was irgendein zukünftiger Liebhaber auch von dieser platonischen Beziehung halten mochte.
Er beendete seine Vorstellung und kam auf dem Weg zum Ausgang zu mir in die Küche. Er war ziemlich entsetzt über Charlottes Gäste, die sich mittlerweile im Wohnzimmer vergnügten wie beim letzten Gang eines römischen Gelages. Die Luft knisterte vor erotischer Spannung, und ich ahnte, dass gleich nach dem Dessert eine hemmungslose Orgie losbrechen würde.
»Summer«, sagte er und schaute mir dabei fest in die Augen, ohne dass sein Blick auf meine nackten Brüste abschweifte. »Kennst du diese Leute?«
»Na ja, nicht so richtig. Eigentlich nur Charlotte.«
Und das stimmte sogar. Sie hatte mich keinem ihrer Gäste vorgestellt, was auch nicht zu meiner Rolle an diesem Abend gepasst hätte. Merkwürdig eigentlich, wenn ich jetzt darüber nachdachte. Kaum dass ich mein Schürzchen angelegt und das erste Mal die Glocke gehört hatte, war ich völlig in der mir zugedachten Rolle aufgegangen.
»Ist doch wirklich schräg hier. Hör mal …«, setzte er flüsternd hinzu, während er einen Blick auf ein mittlerweile barbusiges Mädchen am Esstisch warf, das ganz schamlos den Schritt eines Mannes in einem rosa Jackett rieb, »… wenn du so dringend Geld brauchst, hätte ich dir aushelfen können. Warum hast du mich nicht angerufen?«
Mir wurde schwer ums Herz. Er glaubte, ich würde es für Geld machen! Wie sollte ich ihm sagen, dass ich zum Nulltarif in dieser Aufmachung arbeitete? Das war so verrückt, dass ich es ihm nicht erklären konnte.
Ich nickte stumm und hielt beschämt den Blick gesenkt. Er berührte mich sanft an der Schulter.
»Ich muss jetzt los, Baby. Ich habe noch einen Gig. Ich würde dich ja umarmen, aber … wäre irgendwie komisch so.«
Mir schossen die Tränen in die Augen. Chris war der einzige Mensch auf der Welt, von dem ich mich wirklich verstanden fühlte. Was sollte ich bloß machen, wenn ich ihn wegen dieser Geschichte verlor?
Er beugte sich vor und gab mir vorsichtig, um ja nicht meine Brüste zu berühren, ein Küsschen auf die Wange. »Ruf mich an, okay? Oder komm später
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