80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
wieder ein. »Wo sind die Russen? Sind wir hier sicher?«
»Aber klar doch«, erwiderte Viggo und grinste von Sekunde zu Sekunde breiter. »Wir haben ein kleines Ablenkungsmanöver organisiert, sodass sie dich und deinen Liebsten hier schneller vergessen haben, als du ›Picasso‹ sagen kannst.«
»Er lernt es nie«, sagte Lauralynn seufzend. »Der Typ hat ein paar seiner Jungs losgeschickt, um die Villa des Oligarchen auszurauben. Die haben da Zeug im Wert von ein paar Millionen Pfund mitgehen lassen.«
»Ach, Schätzchen, du kennst mich doch. Es geht mir nicht ums Geld, sondern um die Kunst. All diese tollen Sachen bei einem Gangster wie dem, das ist doch Verschwendung. Ich habe sie nicht geklaut, ich habe sie befreit. Und an einen besseren Ort gebracht.«
»Du hast eine seltsame Vorstellung von Moral, mein Herz. Kein Wunder, dass ich dich so liebe.« Lauralynn beugte sich vor und küsste ihn auf den Mund.
Chey begann sich zu rühren.
»Luba?«, flüsterte er. Seine Lippen bewegten sich kaum. Es war, als würde eine Marmorbüste langsam zum Leben erwachen.
»Ich bin hier.« Ich nahm seine Hand und legte sie mir an die Wange.
»Wie süß«, meinte Lauralynn. »Aber wir müssen euch jetzt endlich hier rauskriegen.«
Sie schraubte eine Wasserflasche auf und schüttete Chey den Inhalt ins Gesicht.
»Verdammt!«, fluchte er und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Entschuldigung.« Lauralynn hielt auch ihm einen Rucksack hin. »Du musst dich während der Fahrt umziehen.«
Dann kletterte sie auf den Fahrersitz und fuhr los.
»Unten bleiben«, zischte sie mich an, als ich den Kopf hob, um aus dem Fenster zu sehen. Statt weiter unauffällig durch Seitenstraßen zu fahren, stellte Lauralynn nun die Sirene an und raste mitten durch die Stadt.
»So fallen wir weniger auf«, erklärte Viggo, als er meine schreckensbleiche Miene sah. »An einen Rettungswagen, der durch dunkle Straßen schleicht, erinnert sich jeder. Aber einer, der an Silvester durch Dublin braust wie hundert andere, ist keinen zweiten Blick wert.«
Silvester. Hatten wir den Jahreswechsel bereits verpasst?
Ich schaute Chey an und saugte seinen Anblick tief in mich ein, nur für den Fall, dass wir wieder voneinander getrennt werden sollten. Er kämpfte mit den Knöpfen, denn seine Koordinationsfähigkeit war noch von den Drogen beeinträchtigt. Viggo hatte ihm Jeans, ein bequemes Baumwollhemd und einen gerippten Wollpullover eingepackt, dazu eine Freizeitjacke sowie Wollmütze und Schal. Wir sahen so unauffällig wie x-beliebige Rucksacktouristen aus, die Neujahr in Dublin feiern wollten.
»Wo sind denn Summer und Dominik?«, fragte ich, als die Ereignisse des Abends sich allmählich zu einem kompletten Bild zusammensetzten.
»Sie sind beide in Sicherheit und auf dem Weg nach Hause«, antwortete Viggo. »Wir haben die Überwachungskameras außer Betrieb gesetzt, sodass es keine Aufzeichnung von dem Abend gibt. Man wird zwar ein Band vorfinden, aber das ist gefälscht. Der Rettungswagen ist auch nicht echt. Nur ein geschickt lackierter Kastenwagen.« Voller Freude über den gelungenen Coup schlug er sich auf den Oberschenkel und gluckste. Er hatte die ganze Sache souverän durchgezogen und offenbar seinen Spaß dabei gehabt.
»Dominik war ein scharfer Arzt«, rief Lauralynn vom Fahrersitz nach hinten. »Er kann in Dr. House Karriere machen, falls es mit der Schriftstellerei nicht klappt. Na, wenigstens haben wir ihm eine Menge Stoff geliefert.«
»Allerdings völlig unglaubwürdiges Zeug«, entgegnete ich und betrachtete verwundert Chey. Was hatten wir für bizarre Erlebnisse hinter uns. »Das Leben schreibt doch die schrägsten Geschichten.«
Als wir vor dem Bahnhof anhielten, zeigte die Uhr am Armaturenbrett 00:55. Der nächste Zug fuhr in fünfzehn Minuten.
»Das war’s dann also, ihr Turteltäubchen«, verkündete Viggo. »Wir bleiben besser nicht in Verbindung. Sieht im Moment zwar so aus, als ob man uns nicht auf die Schliche kommt, aber ihr solltet euch lieber einige Zeit bedeckt halten.«
»Viggo …« Ich ergriff seine Hand, um ihm zu danken. Doch meine Worte blieben mir in der Kehle stecken, mehr als ein schwaches Lächeln brachte ich nicht zustande.
»Und das ist für dich.«
Er überreichte mir ein dickes Bündel Geldscheine und die braunen gepolsterten Umschläge, die ihm Summer anvertraut hatte, mit unserem Honorar für den Abend und, viel wichtiger, den falschen Papieren, die wir vor Vorstellungsbeginn
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