Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)

80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)

Titel: 80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
Vom Netzwerk:
strich und nahezu unsichtbare Wassertröpfchen in der dunstigen Luft verteilte, während sich bereits ein Unwetter ankündigte und die Flut immer stärker anstieg. Eine kleine Armbewegung hier, eine Drehung des Handgelenks dort, der Schwung meiner Hüften im Einklang mit der sacht anschwellenden Musik, der süß melancholische Klang der Piccoloflöte zum leisen Spiel der Harfe und dem Schlag der Trommel. Als würde es sanft zu regnen beginnen und sich am Horizont ein Gewitter zusammenbrauen.
    Der zweite Satz begann mit dunkleren Tönen von Klarinette und Oboe. Gedämpfte Trommelschläge kündigten das erste Donnergrollen an. Das Wasser wurde rauer, die Wogen mächtiger, und ich gestaltete meine Bewegungen entschiedener, rascher, sportlicher.
    Obwohl ich das Publikum kaum sah, wusste ich, dass ich es jetzt in der Hand hatte. Ich konnte durchatmen und mich umsehen. Denn ich kannte jeden Schritt, und der Rhythmus der Musik war wie in meinen Körper eingebrannt. Er entsprach dem Schlag meines Herzens, mit dem es das Blut durch meinen Körper pumpte, und trug mich bis zum Ende meiner Darbietung. Es war nicht so, als würde ich von den Wogen fortgerissen und von dem unentwegt wütenden Sturm mal hierhin, mal dorthin geschleudert. Vielmehr war es, als würde ich auf dem Sturm reiten, das Orchester dirigieren und als läge es in meiner Macht, die Gezeiten zu lenken.
    An anderen Tagen war es nicht so romantisch, dann war es eher eine Frage der Übung. Wie Chey meinte, galt das ohnehin für fast alles.
    Immer und überall kam es auf das Training an oder auf die gute alte Schinderei – auch wenn es so aussah, als ließe ich mich von meinen Eingebungen leiten. Das entnahm ich der Art und Weise, wie mich das schweigende Publikum betrachtete, Nachtschwärmer mit gebannten Gesichtern, die diese ungewöhnliche Frau ansahen, als erwarteten sie so etwas wie den Zauberkünstler aus dem Roman, den ich gerade las. Sie hatten das ganze Getriebe der Maschinerie vergessen, von der Eingangshalle über den besonderen Geruch und Geschmack der gereichten Erfrischungen bis hin zu den erlesenen Düften und der Erscheinung der Directrice. Madame Denoux trug zu ihrer weißen Karnevalsmaske stets ausgefallene, aber äußerst geschmackvolle Kleider. Etwas Besonderes war ihre Haltung, die einstudierte und perfektionierte Mattigkeit, die sie so geheimnisvoll wirken ließ. Dabei war sie eine ganz normale Frau, nicht anders als wir – nur dass sie ihren Lebensunterhalt mit der Zurschaustellung anderer Frauen verdiente.
    An diesem Abend war es nicht so voll, wie ich es erwartet hatte. Einen Tag vor Silvester befand sich New Orleans bereits im Partytaumel. Überall spürte man die Vorfreude auf den Neuanfang, den das Jahresende mit sich brachte; alle Einwohner der Stadt waren auf den Beinen, um mitzuerleben, wie das eine Jahr ausklang und das neue begann. Es war der einzige Zeitpunkt, zu dem es zwischen den Menschen auf den Straßen wirklich keine Unterschiede gab. Ganoven und Touristen, Huren und junge Schuhputzer, sie alle einte das Gefühl, in dieser einen Nacht aufzugehen, wenn in den ersten Minuten des neuen Jahres die im French Quarter gezündeten Silvesterraketen in die Nacht zischten, den Himmel kurz erhellten und dann wieder erloschen. Zurück blieb nicht viel: die vergängliche Schönheit des Feuerwerks, die Erinnerung an ein paar vergnügte Stunden und – in den meisten Fällen – ein schlimmer Kater.
    Und was würde von mir zurückbleiben? Anders als bei einer Musikerin gab es von meinen Darbietungen keine Aufzeichnungen, die man immer wieder abspielen konnte. Man würde mich vergessen, auch wenn sich jeder meiner Schritte jeweils für einen Sekundenbruchteil in den Gesichtern meiner Zuschauer widerspiegelte und bestenfalls, wenn ihnen mein Auftritt wirklich gefiel, in ihr Gedächtnis einbrannte. Doch niemals konnten sie eins zu eins wiederholt werden.
    Zwei meiner Zuschauer an diesem Abend fesselten mein Interesse, eines der wenigen Paare. Frauen, die ihre Männer oder Liebhaber begleiteten, wirkten gewöhnlich gelangweilt, als hätten sie so etwas wie unser Programm oder Gewagteres schon oft gesehen. Oder sie schienen verunsichert, eifersüchtig, voller Angst, was ihre Männer wohl später zu Hause von ihnen erwarteten, nachdem sie mich auf der Bühne gesehen hatten, voller Scham über ihren Körper, über die unter dem unerbittlichen Zug von Alter und Erdanziehung herabhängenden Brüste und ihre schlaffen Schenkel.
    Doch die Augen der

Weitere Kostenlose Bücher