80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
Trainings Mühe hatte, meinen Babyspeck loszuwerden. Alle sagten, ich habe zwar ein hübsches Gesicht, doch mein Körper streife nur langsam seinen Kokon ab. Und so fand ich mich in der Gemeinschaftsdusche in der Rolle einer Spionin wieder. Während mir das Wasser über den Körper lief, stand ich da und betrachtete voll Neid die anderen mit ihren gerundeten Hüften, den wippenden Brüsten und breiten Hintern. Ich hingegen war einfach nur ein von oben bis unten gut gepolstertes Knochengestell, ohne Kurven und ohne Anmut.
Und sie erzählten viel, nachdem das Licht gelöscht war. Über die Jungs, mit denen sie sich getroffen hatten oder noch treffen wollten, und über all die Dinge, die sie dann mit ihnen anstellen würden. Ich hörte still zu und versuchte, aus den Übertreibungen die Wahrheit herauszufiltern. Manchmal trafen mich ihre Worte bis ins Mark, dann wieder setzten ihre Geheimnisse mein Inneres in Flammen. Und immer wusste ich, dass ich eines Tages eine von ihnen sein würde. Wenn ich erwachsen und eine Frau geworden war.
Normalerweise trafen wir uns in der Eisdiele in der Luganskaya uliza, ein altmodisches Relikt noch aus der Stalinzeit. An neun von zehn Tagen gab es nur Vanilleeis, und selbst das mit künstlichem Aroma, das einen bitteren Nachgeschmack hinterließ. Doch die beiden alten Babuschkas, die den ehemaligen Staatsbetrieb übernommen hatten, störte es nicht, wenn wir Mädchen stundenlang dort saßen und tratschten, Schminktipps austauschten und Typen trafen, die von außerhalb in die Stadt gekommen waren. Die älteren Mädchen tauschten mit ihnen gelegentlich verstohlene Küsse gegen gefragte Mitbringsel. Die galten nicht etwa als Bezahlung – das kam auf keinen Fall infrage –, sondern eher als eine Art Trinkgeld, das sicherstellte, dass sie wiederkommen und uns auf dem Schwarzmarkt gehandelte Kopien von Markenartikeln verkaufen würden.
Als wir etwas älter geworden waren, brüsteten sich einige Mädchen damit, dass sie den Jungs mehr als nur Küsse gewährt hatten.
Ich war schon wegen meiner knappen finanziellen Mittel nur Zuschauerin bei diesem Spiel. Dennoch wurde ich in den Jahren nach Einsetzen meiner Periode jedes Mal rot, wenn ich die Eisdiele in der Luganskaya betrat. Ein seltsames Kribbeln erfasste meinen Unterleib, und in meinem Kopf überschlugen sich wilde Fantasien. Zumindest wurde der Geschmack der künstlichen Vanille dadurch erträglicher.
Im Jahr nach Soschas plötzlicher Abreise schlief im Bett neben mir ein Mädchen aus Georgien namens Valentina.
Valja war eine wilde Hummel und steckte ständig in Schwierigkeiten, nicht weil sie von Natur aus böse, sondern weil sie aufsässig war und immer Unfug im Kopf hatte. Sie wies mich in die Kunst des Schwanzlutschens ein und erklärte mir, da dies den Männern ausgesprochen gut gefalle, bahne es uns Mädchen einen direkten Weg zu ihren Herzen. (Wie ich später herausfand, auch zu ihren Lenden.) Sie scherzte oft, eine Russin sei erst dann eine richtige Frau, wenn sie einem Mann kunstvoll einen blasen könne. Für ihren Unterricht schleppte sie sogar Bananen an, die damals noch schwer zu bekommen waren.
Anfangs reizten mich mehr der köstliche Geschmack und die weiche Beschaffenheit der Bananen als ihre Form. Valja jedoch bestand darauf, dass ich stundenlang übte, bis sie eines Tages erklärte, ich sei reif für die Praxis.
Ich glaube, er hieß Boris. Oder Sergej. Ich erinnere mich weder an seinen Namen noch an sein Aussehen, denn Boris (oder Sergej?) kam einige Tage nach Sergej (oder Boris?). Ich wurde zur Wiederholungstäterin. Er – nein, sie beide studierten an der nahe gelegenen Technischen Hochschule. Ich war sechzehn und er etwa ein, zwei Jahre älter. Mit der Ankündigung, ich sei bereit, hatte Valja unser Treffen arrangiert und für diesen Dienst zweifellos einige Rubel eingesteckt. Treffpunkt war die Eisdiele, und ich weiß noch, dass man an jenem Tag aus mehreren Eissorten auswählen konnte. Ich entschied mich neben dem bekannten künstlichen Vanilleeis für Walderdbeere, und er bezahlte. Später gingen wir Händchen haltend zu der Backsteinmauer hinter meinem Wohnheim, und Valja stand Schmiere. Er löste den Gürtel um seine schmale Taille und zog sich die abgewetzte Cordhose bis zu den Knien herunter. Seine Unterhose war irgendwas zwischen weiß und grau. Als er mir in die Augen sah, erkannte ich, dass er offenbar noch mehr Angst hatte als ich. Neugierig streckte ich die Hand aus und griff durch die dünne
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