80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
Neujahrstag um zwei.«
»Ist dieser Tanz wohl ein Neubeginn oder das Ende?«, überlegte ich laut, da mich das Seelenleben der beiden Fremden nicht mehr losließ.
»Du kannst manchmal schrecklich melodramatisch sein, meine Liebe … eine Angewohnheit, die leicht ins Verderben führt. Und du weißt doch, neugierige Katzen verbrennen sich die Tatzen.«
Kurz fragte ich mich, ob es die Frau tatsächlich wagen würde. Aber mein Gefühl sagte mir, dass sie ihre Entscheidung längst getroffen hatte, so wie ich damals, lang bevor ich zum ersten Mal auf die Bühne trat. Die Herausforderung und die Möglichkeit zu scheitern sorgten für den Kick.
Ich beendete mein Reinigungsritual, packte rasch meine Sachen zusammen und machte mich auf den Heimweg. Es war fast vier Uhr morgens, die stillste Stunde der Nacht, in der die Luft dünner zu sein scheint und die Atmosphäre sich ausdehnt, als reckte sie sich der aufgehenden Sonne entgegen.
Den größten Teil des Tages hing ich herum. Ich döste im Bett oder saß, in mein Buch vertieft, im Sessel am Fenster, denn ich war zu unruhig, um schlafen zu können. Als der Nachmittag in den Abend überging, legte ich das zerlesene Taschenbuch beiseite und machte mich auf den Weg zum Club.
Ich war Müßiggang nicht gewohnt, und da ich noch ein paar Stunden totschlagen musste, beschloss ich, die von Madame Denoux im Laufe der Jahre angesammelten Kostüme an den langen Garderobenstangen durchzusehen. Vielleicht konnte ich das eine oder andere für meine neue Nummer verwenden. Zum ersten Mal wollte ich beim Tanzen tatsächlich Requisiten einsetzen, denn ich plante einen Auftritt als Taube in einem goldenen Käfig, der von der Decke hing. Ich würde die Gitterstäbe durchbrechen und, an einem unsichtbaren Geschirr befestigt, in der Luft meine Pirouetten drehen. Ich war ziemlich stolz auf diese Choreografie, die ich mir in einer der vielen quälenden Nächte ausgedacht hatte, als ich mich entweder in fiebrigen Albträumen oder wach hin und her wälzte und alles Mögliche plante, um mich von Chey abzulenken.
Die Zeit verstrich. Als ich nun freiwillig gefangen in dem von der Decke hängenden Vogelkäfig hockte, hatte ich das Gefühl, Teil einer anderen Welt zu sein, einer Welt mit unscharfen Konturen, in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen, Tanz und Reglosigkeit. Meine Erinnerungen waren ein Wirrwarr aus Bildern, die das Kamasutra hätten illustrieren können. Nur gedämpft hörte ich das Feuerwerk in der Ferne und nahm auch kaum Notiz von den Bravo-Rufen der Leute in der Bar, als die Nummer, die Madame als das große Finale für den Jahreswechsel arrangiert hatte, ihren Höhepunkt erreichte.
Erst die Stimme der jungen Frau riss mich aus meinen Träumereien.
»Ich tanze lieber nackt«, sagte sie und drückte dabei sichtbar das Kreuz durch, um größer zu wirken und mehr Autorität auszustrahlen.
Madame versuchte sie von einem ihrer raffinierten Kostüme zu überzeugen, aber die junge Frau wollte gleich nackt auf die Bühne treten. Offenbar fand sie Strippen unter ihrer Würde.
Auch wenn sie bereit war, nackt zu tanzen, würde sie sich für niemanden ausziehen.
Erneut rätselte ich über die Art ihrer Beziehung zu dem Mann, der ihren Auftritt arrangiert hatte. Ihr Stolz und sein unübersehbarer Besitzanspruch waren eine seltsame Kombination.
Runde eins mochte sie gewonnen haben, doch sie hatte Madame Denoux unterschätzt, die stur wie ein Esel war und niemals zuließ, dass eine Tänzerin sich gegen sie durchsetzte. Ohne eine Miene zu verziehen, reichte Madame ihr ein mit Samt ausgeschlagenes Kästchen, das sonst bei dem Kostümschmuck stand. Ich hatte selbst schon überlegt, die Sachen zu tragen, sie dann aber zu gewagt gefunden – sogar für Madame Denoux’ Club.
»Dann tragen Sie eben das. Ihr Wohltäter wird es so haben wollen.«
Mit angehaltenem Atem beobachtete ich von oben, wie Madame Denoux der Rothaarigen bei den Vorbereitungen half. Ich sah, dass die junge Frau zusammenzuckte, als Madame ihr den Schmuck anklemmte, den sie aus dem Kästchen genommen hatte – Nippelringe und dünne Kettchen für die Schamlippen – und ihr schließlich resolut auch noch den Analstöpsel hineinschob. Als Madame sie zu der leeren Bühne führte, ließ ich mich auf den Boden hinunter und schlich barfuß durch den engen Korridor hinter die Bühne, wo ich in völlige Dunkelheit getaucht war. Allmählich wurde ich müde. Es war ein langer Abend gewesen, und meine Glieder waren steif, weil ich
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