80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
er wegsah.
Ich hatte genug von Flughäfen, vom Reisen. Irgendwie wusste ich inzwischen nicht mehr, wie es mit mir weitergehen sollte. Ich fuhr nur deshalb mit dem Zug von Südfrankreich bis nach Amsterdam, weil ich nicht schon wieder in so ein verdammtes Flugzeug steigen wollte.
Als ich in Amsterdam eintraf, hatte ich mich praktisch schon entschieden, dem Netzwerk meine Kündigung zu schicken und mit dem Tanzen ein für alle Mal aufzuhören. Zumindest mit der Art von Tanz, die in Geschlechtsverkehr vor Publikum gipfelte.
Cheys Beschreibung von all dem, was uns verband, war so persönlich und vertraulich. Und seine Erinnerungen an unsere Beziehung mit all den kleinen Details, die er aufgegriffen hatte, führten mir vor Augen, wie groß die Kluft zwischen sich lieben und ficken war. Unüberbrückbar.
Ich hatte mir etwas vorgemacht. Zwei Menschen, die einander kaum kannten, konnten auf der Bühne einfach nicht die Gefühle darstellen, die ein Paar bei der körperlichen Liebe empfindet. Auch in seiner Kunstform war das, was ich zeigte, nur eine erbärmliche Imitation. Außerdem bezweifelte ich mittlerweile, dass die Zuschauer mein Können zu schätzen wussten. Sie sahen nicht, wie schwierig die Schritte und Drehungen waren, wie sauber ich die Entrechats und Bourrées ausführte. Zwar zahlten die Kunden viel Geld dafür, doch letztlich interessierten sie sich nur für den Fick, den Schwanz, die Möse. Im Grunde waren sie kaum anders als die Betrunkenen im Tender Heart oder die Kiffer in den heruntergekommenen kalifornischen Bars. Der einzige Unterschied zwischen den exklusiven Gästen und den normalen Leuten war die Dicke ihres Portemonnaies.
Als Profi kam es für mich jedoch trotz meiner Vorbehalte nicht infrage, das Engagement platzen zu lassen. Bestimmt war die Veranstaltung schon seit Ewigkeiten ausgebucht und eine diskrete Location organisiert. Einige Zuschauer reisten unter Umständen sogar allein wegen meiner Show nach Amsterdam. Der Inkapriester, mein Partner bei dieser Nummer, hatte ebenso wie ich einen festen Terminplan und war auf die Einnahmen angewiesen. Ganz egal, ob es regnete oder die Sonne schien, ob ich gute oder schlechte Laune oder sogar meine Periode hatte, ich tanzte. Dass man sich auf mich verlassen konnte, war für mich Ehrensache.
An diesem Abend würde unser Auftritt wenigstens nicht der einzige sein, sondern in einer ganzen Reihe von anderen dekadenten Darbietungen stehen. Amsterdam feierte ein Wochenende der Erotik und Exotik, und wir waren lediglich eine Sexshow unter vielen, zu der allerdings, wie üblich, nur ausgewählte Zuschauer Zutritt hatten.
Das Ganze sollte im Untergeschoss einer mondänen Kunstgalerie im Jordaan stattfinden, mitten in einem schick gewordenen Stadtviertel, dessen Bewohner hinter den für Amsterdam typischen vorhanglosen Fenstern von der »exklusiven Ausstellung« nur wenige Haustüren weiter nichts ahnten.
Von außen wirkte das Gebäude verlassen, doch als ich gegen die Tür drückte, schwang sie auf. Ein Schild mit dem Wort Expositie in tiefroter Schreibschrift und mit einem Pfeil wies auf eine Treppe ins Untergeschoss.
Unten stand ich in einem weiß getünchten, nackten Flur, an dessen Ende ein hochgewachsener blonder Mann im Smoking den Zugang kontrollierte. Ich zeigte ihm meine Karte, die mich als Tänzerin des Netzwerks auswies, und er schickte mich zu einer Tür weiter hinten, wo ein vorübergehend umfunktionierter Lagerraum als Garderobe diente. Angesichts dieser erbärmlichen Räumlichkeit, mit der wir Künstler uns begnügen mussten, kam man nicht auf die Idee, dass ich für meinen Auftritt an diesem Abend fürstlich bezahlt wurde.
In dem engen Raum drängte sich bereits eine ganze Truppe von Tänzerinnen. Sie waren nackt und als Tiere bemalt – eine von Kopf bis Fuß schwarz-weiß Gestreifte stellte ein Zebra dar, andere eine Giraffe, einen Panther, einen Löwen. Das Zebra trug Kopfhörer und probte noch einmal die Schrittfolgen. Mit klassischem Tanz hatte das nichts zu tun, es war eher so etwas wie ein ritueller Bauchtanz. Sie wiegte und drehte sich zu einem unhörbaren Rhythmus, als würde die Musik in Wellen durch sie hindurchfließen.
Angeführt wurden die Mädchen von einer wunderschönen Dunkelhaarigen im Kostüm eines Zirkusdirektors mit Lederpeitsche und in glitzernden roten Stilettos. Außerdem trug sie einen künstlichen Schnauzbart, dessen Enden in einem perfekten Bogen nach oben wiesen.
Ich nickte den anderen zur Begrüßung höflich
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