9 - Die Wiederkehr: Thriller
er hinzu, während er den Kopf durch den T-Shirt-Kragen steckte.
Das Hemd noch auf den Schultern blickte er sich im Wohnzimmer um.
Aarón stand nicht neben dem weißen Sessel.
Und auch nicht an der Tür.
Denn Aarón rannte in diesem Moment in Richtung Open, so wie ein kleiner Junge vor seinem Vater davonrennt, der ihn zu etwas Schrecklichem zwingen will. Bei jedem Schritt pochte es schmerzhaft in seinem Knöchel. Als er das erste Mal stehen blieb, um, vornübergebeugt und die Hände auf den Knien, nach Atem zu ringen, zog er den Revolver unter dem Hemd hervor und hielt ihn in seiner Linken.
»Der ist fast ein Kilo schwer«, hatte ihm Héctor damals erklärt, als man ihn zum großen Stolz seines Vaters bei der Lokalpolizei von Arenas angenommen hatte. »Es ist ein .38er. Ins erste Trommellager dürfen wir keine Patrone reintun, damit wir Zeit haben, bis fünf zu zählen, bevor wir schießen. Na ja, hier in Arenas passiert sowieso nichts. Hey, Mann, ich sag meinem Bruder Bescheid, und dann schießen wir auf ein paar Dosen, wie wär’s?« Aarón lachte schallend in den dunklen stickigen Abend von Arenas hinein, als ihm wieder einfiel, wie Héctor ihn schließlich dazu überredet hatte: »Komm schon, Mann, du bist fünfzehn, das musst du genießen. Wann kriegst du noch mal Gelegenheit, so was auszuprobieren?«
Viele Jahre später stand Aarón keuchend in einer verlassenen Seitenstraße und betrachtete den Revolver.
Dann richtete er ihn auf den Himmel und drückte ab.
Die Trommel rückte eine Position weiter.
Das Echo trug sein Lachen verzerrt zu ihm zurück.
Der Asphalt färbte sich mal gelb, mal blau, mal violett im Licht des »Open« verkündenden Neonschilds am Laden des Amerikaners. Langsam, aber entschlossen ging er auf den Laden zu. Er roch das Benzin. Ein warmer Windhauch strich ihm über die Haut.
Bei jedem Schritt spürte er das kalte Metall am Bauch.
Der Fahrer hinter ihm hupte, weil er im Weg war, dann hielt er neben einer der Zapfsäulen.
»Das Auto ist am Verdursten«, sagte der Mann am Steuer; dann streckte er die Zunge heraus und hechelte wie ein Hund.
»Darf ich ihm zu trinken geben?«, fragte sein Sohn.
»Klar, aber vorsichtig. Mach ja keinen Fleck auf die neue Hose von Oma …«
Der Junge stieg aus dem Wagen und zog an dem Schlauch. Er betätigte den Mechanismus, bevor er das Zapfventil ganz in den Tank gesteckt hatte. Vier Tropfen fielen auf die Hose, und vier dunkelbraune runde Flecke erschienen auf dem Stoff an einem der Hosenbeine.
»Da hast du es, geh lieber bezahlen«, sagte sein Vater zu ihm.
Aarón blieb vor der Tür zum Tankstellenshop stehen. Er zögerte vor dem entscheidenden Schritt. Als er ihn tat, öffneten sich die Türen mit einem Plastikknirschen. Die kalte Luft aus dem Ladeninnern ließ seinen Magen zusammenkrampfen. Der Revolverlauf bohrte sich in seine Hüfte.
Es führt kein Weg dran vorbei, sagte er sich.
Sofort suchte er mit den Augen jeden Winkel des Ladens ab. Er erkannte Herrn Palmer mit seinem weißen Haarschopf hinter dem Ladentisch. Mit dem Rücken zu Aarón starrte er gebannt auf den Fernseher, der auf volle Lautstärke eingestellt war. Er erkannte außerdem einen der Brüder Moreno, der bei den Zeitschriften stand und in einem Automagazin las. Es war der jüngste der drei Brüder, Jesús Moreno, den seine Brüder vor Kurzem aus der Swimmingpoolfirma geworfen hatten; die ganze Stadt wusste darüber Bescheid. Auf Aaróns Armen hatten sich die Härchen aufgestellt. Er rieb sie sich, als wäre ihm kalt. Er stand noch immer regungslos am Eingang, als er die dritte Person sah.
Damit wären wir schon vier.
Es war ein junger Typ mit Schirmmütze. Eingehend musterte er eines der Regale im zweiten Gang. Das Bierregal. Mit der einen Hand tippte er, irgendeinem Rhythmus folgend, gegen das rechte Bein. So, wie er sich mit der anderen in die Unterlippe kniff, schien er hoch konzentriert. Das Lied schien sich seinem furiosen Ende zu nähern, denn der Typ trommelte jetzt wie ein Schlagzeuger auf die Bierdosen ein und zupfte zum Höhepunkt auf einer unsichtbaren Gitarre herum.
Aarón tastete an seinem Hosenbund nach der Pistole.
Der Junge mit der Schirmmütze hatte die Handbewegung beobachtet und sah ihn an. Seine Augen waren von einem sehr hellen Braun, fast bernsteinfarben. Aarón tat, als juckte es ihn am Hosenschlitz. Der Luftgitarrist nahm eine Dose Heineken und drehte sie auf der Suche nach dem Alkoholgehalt in der Hand. Er wollte sichergehen, die
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