9 - Die Wiederkehr: Thriller
hast du da drunter?«
»Bitte«, flehte der mit erstickter Stimme. »Ich war gerade bei einem Vorstellungsgespräch. Meine Brüder und ich … die Firma, die haben mich vor ein paar Monaten rausgeworfen.«
»Jeder weiß, was passiert ist. Du kennst doch die Leute in der Stadt. Palmer sorgt dafür, dass immer alle Bescheid wissen.«
Aarón kniete sich neben ihn. Suchte in allen Jackentaschen nach. Dann in den Hosentaschen. Der Gestank nach Kot traf ihn völlig unerwartet. Er war so durchdringend wie der Gestank der Stuhlproben, die mit zwei Wochen Verspätung ins Labor geliefert wurden, als er noch auf der Uni war.
Angewidert sprang er auf.
Ein neuer Gedanke schoss ihm durch den Kopf, und diesmal schmerzte es vom ersten Augenblick an.
Es ist keiner von den beiden, die beiden haben noch mehr Schiss als du.
Wie ein elektrischer Schlag fuhr es ihm von irgendwo hinter den Augen über den Nacken bis in die Schultern, und Aarón senkte die Lider, als könnte er den Schmerz damit lindern.
Hast du es etwa immer noch nicht begriffen?, fragte ihn etwas in seinem Kopf.
Rückwärts bewegte er sich von den Männern auf dem Boden weg. Er hatte eiskalte Hände. Sie fühlten sich taub an. Er blickte zu Palmer und richtete Pistole auf ihn.
Er kann es nicht sein.
Der Alte blickte zu Boden und dachte an Ana Salvador, wie sie sich gebückt und Aaróns Mund abgewischt hatte, mit über die Knie hochgerutschtem Rock. Er schloss die Augen und dachte an seine Frau. Den Kopf des Jungen drückte er dabei fest an sich.
Aarón entwich ein Schmerzensschrei, als die Bilder in seinem Kopf derart grell aufleuchteten, dass es blendete.
Wenn es keiner dieser Waschlappen ist und der Amerikaner auch nicht, dann kann es nur …
»Sag dem Jungen, er soll herkommen«, sagte Aarón.
»Nein.«
Palmer schüttelte den Kopf. Auch als er ihn nicht mehr schüttelte, schwabbelte die Haut an seinem Doppelkinn weiter hin und her.
Aarón runzelte die Stirn, wobei er das eine Auge weiter öffnete als das andere. Eine typische Geste von ihm. Einzigartig. Palmer hatte sie schon bemerkt, als Aarón noch klein war. Sie war ihm bis ins Erwachsenenalter erhalten geblieben.
»Sag … dem Jungen … er soll herkommen«, wiederholte er mühsam.
» No «, sagte der Amerikaner so entschieden, wie er konnte. »Aarón, nimm die Pistole runter.«
Der Schmerz im Kopf nahm mit jeder kleinen Anstrengung zu. Es tat schon weh, nur hinzuhören, wenn jemand etwas sagte.
»Ich will diesen Jungen hier bei mir«, schrie er.
Das Blut pochte ihm derart in den Schläfen und im Genick, dass er fürchtete, ohnmächtig zu werden.
Palmer verneinte erneut, doch der Kleine wand sich ihm aus den Händen. Er wollte ihn zurückhalten, doch die Finger des Amerikaners streiften kaum seinen blonden Schopf. Mit nasser Hose und nassem Gesicht kam der Junge hinter dem Ladentisch hervor.
Er blickte Aarón in die Augen: »Was?«
In Aaróns Hirn entlud sich weiter die elektrische Strömung. Geburtsdaten – nicht, wenn ich dich zuerst kriege und du dich in das Opfer verwandelst – und Zahlen – es kann nur er sein – peitschten mit einer solchen Wucht auf ihn ein – es gibt immer ein Opfer und immer einen Mörder –, dass der krampfartige Schmerz – der Junge wurde noch nie getötet – in ein anhaltendes Dröhnen mündete und die Hitze unerträglich wurde. Dann wurde ihm mit einem Mal schwarz vor Augen.
Aus der Dunkelheit drang Andreas Stimme zu ihm.
Du glaubst doch nicht etwa, dass der Junge dich umbringen will?, sagte sie.
Und da begriff Aarón.
Seine Zehen in den Turnschuhen waren inzwischen taub. Einer der Zehennägel löste sich vom Fleisch, doch er fühlte es kaum. Andrea – oder ihre Stimme – hatte recht. Und deshalb war diese Stimme plötzlich auch nicht mehr nur in seinen Gedanken. Aarón konnte sie so deutlich hören, dass er sich nach Andrea umblickte.
»Begreifst du es jetzt?«, sagte sie. »Es ist doch ganz einfach. Merkst du nicht, dass du heute das Opfer bist, ganz gleich, wie oft du es zu Hause auf dem Papier durchgestrichen hast? Du bist an der Reihe. Und ich sehe hier nur eine Pistole. Hast du wirklich gedacht, es könnte der Junge sein?«
Bei jedem Wort änderte sich die Stimme. Manchmal klang sie nach Davids. Oder nach seiner eigenen. Er schloss die Augen.
»Du könntest jetzt sonst wohin schießen. Die Kugel würde abprallen und dich zwischen den Augen treffen. Das Schicksal ist ein verdammtes Schwein, weißt du noch? Du selbst hast das gesagt.«
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