9 - Die Wiederkehr: Thriller
keinen Dank bitte. Und erst recht kein Beileid. Mein Vater wurde von einem anderen Arschloch umgebracht. Die Welt ist voller Arschlöcher, nicht wahr? Ein Scheißdieb, der sein eigenes Handwerk nicht verstand. Er hat es teuer bezahlen müssen. Aus dem Gefängnis ist er nie mehr herausgekommen. Verdient hat er’s. Und mich hat’s gefreut.« Canal musste mehrere Male heftig husten, und der letzte rasselnde Hustenstoß, der von einem Würgen begleitet war, klang stark verschleimt. Er drehte den Kopf, und ohne sich die Mühe zu machen, es zu verbergen, spuckte er einen zähflüssigen Klumpen in den Papierkorb, in den er schon den weißen Plastikbecher geworfen hatte. »Ich weiß wirklich nicht, wozu ich mit dem Rauchen aufgehört habe. Der Husten ist schlimmer als vorher.« Er nahm einen großen Schluck von dem zweiten Kaffee, der auch gut der zehnte sein konnte. »Der Scheißtyp ist im Knast verschimmelt. Ich hoffe nur, seine Mutter hat ihn überlebt und musste genauso viel leiden wie meine. Die Arme. Immer wieder hat sie zu meinem Vater gesagt, dass sie sich solche Sorgen macht, weil er an demselben Ort arbeitet, an dem mein Großvater getötet wurde. Aber er konterte immer mit der Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass in einem Dorf wie Arenas das Gleiche noch mal passiert. Und jetzt sind es schon vier Tote, hab ich recht?«
»Mein Freund ist nicht tot, er ist …«
»Ich dachte, du hättest gesagt, er sei dein Bruder. Wie auch immer, viermal ist genau das Gleiche passiert. Himmeldonnerwetter! Da kriegt man ja eine Gänsehaut.« Er fuhr sich mit der Hand über den Unterarm, wobei ihm die Armhaare an der Haut kleben blieben, so sehr trieb es ihm den Schweiß aus den Poren. »Meine Mutter hat ihn noch gewarnt«, fuhr er fort, »aber wer zum Teufel hat in den Vierzigern schon auf seine Frau gehört. Niemand. Ach, was sag ich, ich hör ja heut noch nicht auf meine.«
»Ich dachte, der zweite Überfall ereignete sich 1950?«, korrigierte ihn Aarón.
»Der neunundzwanzigste Januar 1950 gehört wohl eher noch zu den Vierzigern als zu den Fünfzigern, Junge. Bis die Leute die Last von zehn langen Jahren abgeschüttelt haben, vergeht mehr als ein Monat. Meine Mutter hatte zwar immer ein bisschen Angst. Aber sonst waren wir glücklich in Arenas. Bis zu jenem schwarzen Tag im Winter.«
Er trommelte nachdenklich mit den Fingern auf der Tischplatte.
»Mein Vater führte das Geschäft mit den gleichen Werten, die die Canals schon vor Jahrzehnten im Dorf bekannt gemacht hatten. Hingabe und zuvorkommende Freundlichkeit. Er verkaufte Uhren, aber er reparierte sie auch. Ich weiß noch genau, wie er ganze Abende lang über den Werktisch gebeugt dasaß. Und ich neben ihm. Ich war gern mit ihm in dem Laden. Ich rieche jetzt noch den Geruch nach Holz und Emaille.« Aarón atmete unwillkürlich ein, als könnte er die Gerüche wahrnehmen, die Isaac ihm schilderte, roch aber wieder nur die unangenehmen Ausdünstungen seines Gegenübers. »Ich war zwar gern mit ihm in dem Laden, aber ich hatte nicht die Ausdauer, die mein Vater an den Tag legte. Die Zeit ist das kostbarste Gut der Menschen, sagte er immer zu mir. Dann konzentrierte er sich wieder ganz auf seine Arbeit, auf die Uhr von irgendeinem Dorfbewohner.«
Diesmal war sich Isaac nicht bewusst, dass sich Rhythmus und Tonfall seiner Stimme wieder verändert hatten. Sogar sein Gesicht schien jetzt runder als zuvor. Aarón betrachtete diesen wahren, unverstellten Isaac, der sich ihm schon einmal kurz gezeigt hatte, aufmerksam. Dann widmete er sich wieder seinem Notizbuch.
»An dem Abend hatte mein Vater den Laden schon abgeschlossen. Er bediente gerade noch zwei Kunden, aber das Licht im Schaufenster hatte er schon ausgeschaltet. In Arenas war damals noch überhaupt nichts los. Es gab vielleicht alles in allem zehn Geschäfte. Jedenfalls klopfte plötzlich ein Mann gegen die Scheibe und zeigte meinem Vater eine Uhr. Es war eine echte Perrelet. Verdammt, wer hätte da die Tür nicht noch mal aufgesperrt?« Er lachte, und Aarón lachte mit, ohne genau zu wissen warum. »Während mein Vater hinter die Ladentheke zurückkehrte, packte der Scheißkerl einen der anderen Kunden, den Pastor, einen guten Freund meines Vaters, und bedrohte ihn mit einem Revolver, den er plötzlich hervorzog. Ja, das konnte er, der Dreckskerl, wie im Film.« Isaac hob den Arm und imitierte mit dem Zeigefinger eine Waffe. »Der Pastor sagte keinen Mucks. Der andere, ein Schrank von einem Mann,
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