9 - Die Wiederkehr: Thriller
Obsthändler oder so, keine Ahnung, hielt die Hände hoch wie ’ne Memme. Mein Vater bot dem Dieb das Geld an, das er in der Kasse hatte. Einen Haufen Kohle, den Verdienst einer ganzen Woche. Der Gauner befahl ihm, das Geld und alle Uhren, die auf dem Ladentisch lagen, in eine Tüte zu packen. Mein Vater befolgte seine Anweisungen. Dann ließ der Kerl den Pastor los, schubste ihn zu meinem Vater hinter den Ladentisch und wollte abhauen. Und an der Stelle hätte alles vor bei sein können. Ach, wäre es nur so gewesen. Doch dann lief alles schief, was schieflaufen konnte. Mein Vater hatte, nachdem er den Dieb hereingelassen hatte, die Tür wieder abgesperrt. Das machte er abends manchmal. Mit meiner Mutter im Nacken, die ihn immer wieder daran erinnerte, dass der Laden ein gefährlicher Ort sei …«
Während er erzählte, richtete er den Blick auf einen unbestimmten Bereich hinter ihm, so als würden dort sämtliche Bilder seiner Erinnerung auf eine unsichtbare Leinwand projiziert.
»Der Kerl mit der Knarre trat ein paar Mal gegen die Tür, bis er die Nerven verlor und meinen Vater anbrüllte. Der holte den Schlüsselbund aus der Hosentasche und suchte nach dem richtigen Schlüssel. Der Dieb riss ihm den Schlüsselbund aus der Hand. Mein Vater zitterte vor Angst. Beide zitterten.«
Canal hörte auf, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Er ballte die Hand zur Faust.
»Der Scheißkerl zeigte mit der Knarre auf ihn und schrie ihn an. Er solle ihn nicht verarschen, jetzt sei er zu weit gegangen und so weiter. Er hörte nicht auf zu brüllen, während er einen Schlüssel nach dem anderen probierte. Dieser verdammte Scheißschlüsselbund! Dann tauchte draußen die Guardia Civil auf. Natürlich waren sie nicht wegen des Überfalls da, sie wussten ja gar nichts davon. Sie kamen einfach gerade vorbei, und mein Vater fing an zu rufen. Das war sein Fehler. Der Dieb, in die Enge getrieben, fing an, meinen Vater zu beschimpfen. Er hielt ihm die Knarre direkt an den Kopf. Irgendwann drückte er ab. Direkt ins Auge. Hat ihn eiskalt erschossen, da wo er stand, mit der Guardia Civil auf der anderen Seite der Tür. Sie haben ihn gleich mitgenommen und für immer eingesperrt. Vom Laden direkt ins Gefängnis. Bis er dort irgendwann gestorben ist, ich glaube, er wurde auch umgebracht. Ich wünsche mir nur, dass seine Mutter das noch erlebt hat.«
Ein paar Sekunden lang nahm Isaacs Gesicht wieder den gewohnt harten Ausdruck an. Aarón fürchtete, Isaac könnte merken, dass die halbe Stunde schon abgelaufen war. Zu seiner Überraschung lehnte sich Canal aber wieder in seinem Stuhl zurück und erzählte weiter.
»Das zweite Mitglied der Familie Canal, das man am selben Ort umgebracht hat. In Arenas war die Rede vom Fluch der Canals. Meine Mutter hat den Laden dann verkauft. Er stand lange Zeit leer, bis jemand eine Tankstelle dort aufmachte. Das war noch lange vor dem Amerikaner. Für mich hörte Arenas damals auf zu existieren. Der Fluch der Canals, hieß es damals. Ich würde eher sagen: Der Fluch von Arenas.«
»Außer Ihrem Vater waren nur zwei Leute im Laden? Der Pastor und der Obsthändler. Das heißt, es waren insgesamt vier Personen?«
Aarón kam sich plötzlich lächerlich vor mit seinem Notizbuch. Am liebsten hätte er sich einfach in Luft aufgelöst. Er malte sich aus, wie er sich rasierte. Wie er all die Zeitungen, die Fotos und Artikel zerriss, um endlich damit aufzuhören, nach Parallelen zu suchen und Zusammenhänge zu sehen, wo es keine gab. Zum Beispiel die Theorie mit den fünf Personen. Dass immer genau fünf Personen in das Verbrechen verwickelt waren, das sich in unregelmäßigen Abständen immer wieder am selben Ort ereignete. Unter ihnen immer ein Junge. Isaac Canal hatte aber gerade klargestellt, dass es 1950 nur vier Akteure waren. Und keiner von ihnen ein Junge. Von der dämlichen Fünf konnte er sich ein für alle Mal verabschieden.
»Ich habe nie behauptet, dass es vier waren. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie mein Vater umgebracht wurde.«
Aarón musste sich extrem zusammennehmen, um nicht zu stottern.
»Das heißt, Sie … Sie waren dabei?«
»Andernfalls hätte ich dir wohl kaum alles so genau schildern können. Ich saß am anderen Ende des Ladens. Mein Vater zwinkerte mir von der Kasse aus zu, als der Dieb das Geld und die Uhren haben wollte. Er hatte die Lage im Griff.«
Isaac senkte den Blick. Seine Augen folgten den Kreisen, die er mit dem Finger auf den Tisch malte.
»Aber gut.
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