9 - Die Wiederkehr: Thriller
hören, damit es real wurde. »Du tust es für Aarón. Und du tust es für dich. Denn wenn du es nicht tust und es passiert wirklich etwas, wirst du es dir nie verzeihen. Dann wirst du komplett verrückt. Aber es wird nichts passieren.«
Der Wagen vor ihr machte eine Vollbremsung. Andrea trat die Bremse durch, und beinahe hätte sie sich den Kopf am Lenkrad gestoßen. Die Haare fielen ihr ins Gesicht. Sie rochen schon lange nicht mehr nach Kamille. Bis hierhin standen die Autos schon, dabei waren es bis zur Abzweigung, die zum Wasserpark führte, noch ganze fünfhundert Meter.
»Heute sind wirklich alle im Aqua«, sagte sie sich, »die ganze Stadt.«
Es hatte sich nichts verändert. Es war so wie jedes Jahr, wenn die Attraktion des kommenden Sommers vorgestellt wurde. So wie Andrea es sich erhofft hatte. Niemand wollte dieses Ereignis verpassen.
»Ganz bestimmt ist er auch da«, sagte sie mit einem Seufzen.
Sie blickte abwechselnd zu beiden Seiten aus dem Fenster, und mit jedem Lidschlag wurde ein neues Bild, eine neue Erinnerung in ihr wach. In der Ferne sah sie die Umrisse einiger neuer Siedlungen, die sich damals, als sie weggezogen war, noch in der Planung befunden hatten. Bevor sie es vermeiden konnte – ja, sie hatte es wirklich vermeiden wollen – fiel ihr Blick auf das dreistöckige Gebäude, in dem Aaróns Wohnung gewesen war. Schon beim bloßen Gedanken, dem Gedanken an das letzte Mal, als sie die Tür zu seiner Wohnung aufgeschlossen hatte, wurde ihr flau im Magen.
Schließlich tauchte die Abzweigung vor ihr auf, die zum Schwimmbad führte. Doch Andrea ließ sie rechts liegen und trat kräftig aufs Gas. Erst musste sie noch etwas erledigen.
Als sie die Universitätsklinik von Arenas betrat, schlug ihr der Geruch nach Arznei- und Desinfektionsmitteln entgegen. Sie schritt über den keimfreien Marmorboden in Richtung Aufnahme. Im Hintergrund sah sie einen hinkenden alten Mann in Begleitung zweier grün gekleideter Pfleger. Sie ging zum Tresen. Dahinter saß ein Mann mit spitzen Wangenknochen und kahl rasiertem Kopf. Wahrscheinlich wollte er auf diese Weise seinen vorzeitigen Haarausfall kaschieren.
»Guten Tag, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«, fragte er, nachdem er kurzerhand ein Telefongespräch unterbrochen hatte, das Andrea für privat hielt, allein durch die Art und Weise, wie er sich beim Sprechen das spiralförmige Kabel um den Finger gewickelt hatte. Er musterte sie von oben bis unten und korrigierte sich: »Wie kann ich dir weiterhelfen?«
Andrea fragte sich, ob er ihr in den Ausschnitt sehen konnte. Beschämt stützte sie den rechten Ellbogen in den linken Handteller und rieb sich energisch den Hals. Sie wusste erst nicht, was sie sagen sollte. Sie war einem spontanen Einfall gefolgt und zum Krankenhaus gefahren, ohne sich vorher irgendeine Geschichte zurechtzulegen, mit der sie die Frage, die sie stellen wollte, rechtfertigen konnte.
»Hallo …«, begann sie und kniff sich in die Haut an ihrem Hals. Sie wünschte, sie hätte eine Kette angelegt, die sie jetzt zwischen den Fingern hätte drehen können. »Ich wüsste gern …« Sie wandte den Blick ab, um nicht in das erstaunte Gesicht des Mannes blicken zu müssen. »Ich bräuchte …«
Dann blickte sie auf und sah ihm direkt in die Augen.
»Könnten Sie mir sagen, ob an einem bestimmten Datum ein Kind in diesem Krankenhaus geboren wurde?«, sagte sie geradeheraus.
Und ahnte bereits, dass sie es vermasselt hatte. Dass acht Stunden Autofahrt und das Ringen mit ihrem Verstand nun in dieser einen dummen Frage mündeten.
»Und was krieg ich dafür?«, antwortete der Mann. Er befeuchtete sich die Unterlippe mit der Zungenspitze und beugte sich dann zu ihr vor. »Und sag bitte nicht ›Sie‹ zu mir.« Er kehrte wieder in seine ursprüngliche Position zurück. »Ich arbeite jetzt schon seit zehn Jahren hier an der Aufnahme, und glaub mir, ich hab schon alles erlebt. Einmal hat mich so ein Typ am Kragen gepackt, ja, er hätte mich fast verprügelt. Aber das allein macht doch noch keine Respektsperson aus mir.«
Er blickte sich nach beiden Seiten um. Dann hielt er sich eine Hand vor den Mund und flüsterte:
»Ich bin nicht mal ein richtiger Verwaltungsfachangestellter.«
Den Satz untermalte er mit einem Zwinkern des linken Auges.
Andrea erwiderte die Geste mit einem nervösen Lächeln.
»Was deine Frage angeht …«, fuhr der Mann fort, »ich weiß nicht, ob ich dir das sagen kann.« Er machte eine lange Pause, die Andrea recht
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